Diese Worte zerfliessen wie Honig auf der Zunge. So wunderbar snobistisch sind sie: «Mein Traum wäre reich zu sein, aber zu leben wie ein Armer.» Pablo Picasso (1881–1973) soll sie zu Beginn der 1920er-Jahre gesagt haben. Damals setzte er alles dar­an, um zu gesellschaftlicher Anerkennung zu kommen. Und vor allem zu Geld.
Von «Picassos bürgerlicher Episode» schreibt die Publizistin Anne ­Sinclair in den neu erschienenen Aufzeichnungen über ihren Grossvater mütterlicherseits, Paul Rosenberg (1881–1959), unter dem Titel «Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?». Rosenberg galt bis zur deutschen Besetzung von Paris als einer der führenden französischen Galeristen mit Werken von Künstlern wie Georges Braque, Auguste Renoir oder Henri Matisse. Und Rosenberg arbeitete während Jahren eng mit Picasso zusammen. Diese Verbindung endete erst mit der Flucht Rosenbergs vor den Nazis nach New York.

Auf viele Pferde setzen

Sinclair hat den Nachlass von Paul Rosenberg akribisch aufgearbeitet. Dabei ist sie auf Rechnungen aus den Jahren 1920/21 gestossen: «Sie zeigen, dass er seine Maler für die damalige Zeit komfortabel ausstattete. Für ein grosses Gemälde bezahlte er Picasso 50 000 Francs, für ein Aquarell 12 000 Francs, für ein kubistisches 2400 Francs.» In Euro umgerechnet bleiben diese Beträge gemäss Sinclair gleich.
Im Oktober 1923 habe Picasso seine Preise um mehr als 100 Prozent erhöht. Nicht schlecht für einen Künstler im Alter von 42 Jahren. Rosenberg berichtete später, wie gut Picasso seinen ­eigenen Marktwert einzuschätzen lernte: «Ich suche mir in Picassos Atelier die Bilder aus, die ich kaufen will, und als wir über den Preis reden, wird es amüsant. Wir tauschen schreckliche Argumente aus, aber immer in aller Freundschaft. Eines Tages habe ich zu ihm gesagt, ich würde ihn am liebsten in die eine Wange beissen und auf die andere küssen.»
Picasso war schlau genug, nicht nur auf einen Galeristen zu setzen. Er arbeitete auch mit Daniel-Henry Kahnweiler zusammen, dem grossen Rivalen von Rosenberg. Kahnweiler hatte zwar den Ruf, keinen Sou mehr zu bezahlen, als er für gerechtfertigt hielt. Aber mehrere Abnehmer stärkten die Position eines Künstlers bei den Preisverhandlungen in jedem Fall.

Mut zu Brüchen

Zu Konflikten führte auch Picassos Unzuverlässigkeit bezüglich Terminen. So fand Autorin Sinclair Aufzeichnungen von Paul Rosenberg, in denen er sich 1921 heftig über nicht eingehaltene Versprechen des Künstlers beklagte: «Die Ausstellung des bewussten Picasso ist mit grossem Tamtam für den 14. Februar angekündigt», schrieb Rosenberg. Aber noch im Januar des gleichen Jahres fehlten die versprochenen Harlekine – zur Verzweiflung des Galeristen.
Der selbstbewusste Picasso kannte jedoch nicht nur seinen finanziellen Wert, sondern vor allem seinen künstlerischen. Bereits 1918 wagte er den Bruch mit Paul Rosenbergs Bruder Léonce, mit dem er bis dahin zusammengearbeitet hatte. Im Gegensatz zu Paul setzte Léonce vor allem auf den Kubismus.
Anne Sinclair hat mit «Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?» ein amüsantes Buch über die vergangene Pariser Kunstszene geschrieben. Die Lektüre lohnt sich für jeden Besucher der grossen Picasso-Ausstellung in Basel als Vertiefung für das Verständnis der Werke.

Ausstellung

«Die Picassos sind da!»
Bis So, 21.7.
Kunstmuseum Basel

Buch

Anne Sinclair
«Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?»
207 Seiten
(Kunstmann 2013).

Anne Sinclair

Die links-liberale Juristin und Journalistin Anne ­Sinclair war während Jahren eine der wichtigsten politischen Stimmen Frankreichs. Heute leitet sie die französische Ausgabe der Online-Publikation «Huffington Post». Sie lebt getrennt von ihrem Ehemann Dominique Strauss-Kahn, dem ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds. Er geriet wegen Vergewaltigungsvorwürfen in die Schlagzeilen.