Treuer Romantiker versus Filou: Diese beiden Typen treffen im neuen Film von Regisseur Markus Imboden («Der Verdingbub») aufeinander. Der Cellist Felix (Henry Hübchen) wurde von seiner Frau Valerie (Martina Gedeck) verlassen. Nun zieht es ihn an den Ort der Trennung ins Tessin, wo er sich in Melancholie und Selbstmitleid ergiesst. Der jüngere Scheidungsanwalt und Frauenheld Thomas (Max Simonischek) will derweil in seinem Tessiner Ferienhaus einen Aufsatz über das Eherecht schreiben. Doch daraus wird nichts: An einem Bahnsteig trifft er auf Felix und reisst diesen reflexartig zurück, weil es so aussieht, als ob sich Felix vor den anfahrenden Zug werfen wolle. Dieser dankt es ihm mit einer Schimpftirade.
Schlagabtausch
Trotzdem entwickelt sich zwischen den Männern eine Art Freundschaft, auch wenn sie ganz unterschiedliche Auffassungen haben. «Sie sind ein glühender Verfechter der grossen Liebe», sagt Thomas nach einem Nachtessen spöttisch zu Felix. Dieser entgegnet lediglich: «Die Liebe braucht genauso wenig verfochten zu werden wie die Sonne: Sie ist da, oder sie ist nicht da.» Im Gespräch schlagen sich die beiden Argumente für und wider die ewige Liebe um die Ohren. Während Thomas über seinen Natur- und Jagdtrieb bei Frauen schwadroniert, hält Felix dies bloss bei Hunden für angebracht.
Regisseur Imboden leuchtet in Rückblenden die vergangenen Beziehungen der beiden Männer aus. Und schnell wird für den Zuschauer klar, was für Felix und vor allem für Thomas lange im Dunkeln bleibt: Valerie, von der Felix verlassen wurde, war eine von Thomas’ Affären. Was als witziger Schlagabtausch beginnt, bekommt zunehmend eine Dringlichkeit. Unglücklich sind beide auf ihre Weise – der eine mit seiner selbstgewählten Unverbindlichkeit, der andere mit seiner besitzergreifenden Art von Liebe, die seine Gattin in die Flucht getrieben hat. Und auch das kumpelhafte Verhältnis der beiden Männer bekommt bald einen aggressiven Unterton – spätestens als Felix realisiert, dass er den ehemaligen Liebhaber seiner Frau vor sich hat.
Imboden stützt sich in seinem Film auf den Roman «Am Hang» des Schaffhauser Autors Markus Werner. Keine einfache Vorlage, besteht das handlungsarme, aber packende Werk doch grösstenteils aus dem Dialog der Männer. Während der Roman mit leisen Zwischentönen und blossen Andeutungen auf ein offenes Ende zusteuert, schlägt der Film deutlichere Töne an. Die steigende Anspannung zwischen Felix und Thomas äussert sich in handfesten Auseinandersetzungen. Mehr und mehr entwickelt sich der Film zum Thriller, der sich am Ende ganz von seiner literarischen Vorlage löst und mit einem Schicksalsschlag überrascht.
Neue Perspektive
Während im Roman über die Frauenfigur nur geredet wird, liefert der Film mit der vor Lebenslust sprühenden, zum Aufbruch bereiten Valerie die zusätzliche Perspektive der Frau. Imbodens Verfilmung ersetzt zwar nicht die Lektüre des Romans in sei-ner meisterhaft zurückhaltenden Form, aber sie erschliesst eine neue, durchaus unterhaltsame Ebene – nicht zuletzt dank den hochkarätig besetzten Hauptfiguren.
Am Hang
Regie: Markus Imboden
Ab Do, 24.10., im Kino
Buch
Markus Werner
«Am Hang», 192 Seiten
(S. Fischer 2004).