kulturtipp: Im neuen Film «Lovely Louise» von Bettina Oberli sprechen Sie Mundart. Ist das etwas Besonderes oder einfach eine andere Art, einen Film zu drehen?
Stefan Kurt: Es ist schön, aber es ist auch eine Herausforderung. Zum Teil ist es schwierig, Dialekt in den Mund zu bekommen – und ich bin es einfach nicht gewohnt, in Mundart zu spielen. Die Übung fehlt mir ein wenig.
Ist es für Sie wie ein Heimkommen, auf Mundart und in einer Hauptrolle zu drehen?
Ja, es freut mich, dass ich in den letzten drei, vier Jahren grössere, tragende Rollen in der Schweiz bekommen habe: «Der letzte Weynfeldt», «Der Verdingbub», «Lovely Louise». Im nächsten Jahr kommt noch die Titelrolle in «Nur ein Schritt – Der Fall des Paul Grüninger» dazu.
Hat es sich einfach ergeben, dass sich solche Rollen in jüngster Zeit gehäuft haben?
Vielleicht, es kommt das eine nach dem andern. Aber ich bin froh, dass ich in meinem gesetzteren Alter von 53 Jahren in der Schweiz angekommen bin.
Eine Art Genugtuung?
Es ist schön, dass ich hier in der Schweiz mehr wahrgenommen werde. «Lovely Louise» ist bestimmt eine gute Visitenkarte. Auch um zu sagen: Hallo, ich bin zurückgekommen, der Sohn, nicht gerade der verlorene Sohn. Man fühlt sich sonst wie der Prophet, der im eigenen Lande nichts zählt.
1996 sind Sie mit dem ZDF-Fünfteiler «Der Schattenmann» in Deutschland bekannt geworden. Weiss man dort, dass Sie Schweizer sind?
Die Leute tippen meist auf «vielleicht Süddeutschland» oder manchmal «österreichisch». Aber viele wissen nicht, dass ich Schweizer bin.
Gibt es Unterschiede zwischen dem Arbeiten in Deutschland und in der Schweiz?
Es gleicht sich immer mehr an, es gibt keine grossen Unterschiede mehr. Auch wenn man den aktuellen Film «Lovely Louise» sieht: Die Qualität ist mit deutschen Produktionen vergleichbar. Der Schweizer Markt ist halt zehnmal kleiner und damit auch zehnmal schwieriger. Dafür ist es familiärer; die Schweiz ist überschaubarer. Mit der Zeit kennt man die Leute, die beim Film arbeiten. Es ist immer sehr schön, sie wiederzusehen. Und das Catering ist meistens besser. In der Schweiz wird man auf dem Set bedient, in Deutschland steht ein Büffet. Aber ansonsten gibt es keine grossen Unterschiede.
Die Drehbücher sind in Deutschland besser …
Das stimmt. Es gibt in Deutschland mehr Leute, die Drehbücher schreiben. Sie können sich darauf konzentrieren, weil sie genügend Aufträge haben. Ich habe einige Schweizer Drehbücher gelesen; die meisten davon waren ein wenig «papierig» und machten einen nicht so an, mitzuspielen.
Gibt es Unterschiede beim Arbeiten zwischen Fernsehen und Kino?
Der grösste Unterschied ist die Finanzierung. Das merkt man manchmal an der Ausstattung, am Licht, an der Üppigkeit der Bilder. Aber auch hier: Es gleicht sich an. Vom Spielen her ist es eigentlich egal; ich spiele nicht anders, wenn ich fürs Kino oder fürs Fernsehen arbeite. Früher gab es den Dünkel der Kino-Regisseure gegenüber den Kollegen, die fürs Fernsehen arbeiteten. Das hat sich schwer geändert. Früher gabs auch den Dünkel der Theaterschauspieler gegenüber den Fernsehschauspielern. Die TV-Schauspieler sagten den Theaterleuten, sie seien rückständig. Und umgekehrt: Die TV-Leute sind gar keine richtigen Schauspieler, keine Künstler. Das ist heute längst nicht mehr so. Es wird vielmehr zwischen Theater und Film gewechselt. Mit dem unschönen Nebeneffekt, dass der Ensemblegeist beim Theater etwas fehlt.
Sie selber sind in Berlin auf der Bühne recht aktiv.
Meistens arbeite ich am Berliner Ensemble, da bin ich als Gast engagiert und mache dort etwa Produktionen mit Robert Wilson: Mackie Messer in der «Dreigroschenoper» oder Captain Hook in «Peter Pan». Bei Jürgen Flimm an der Staatsoper bin ich an «Orpheus in der Unterwelt» beteiligt. Nächstes Jahr im März mache ich eine Operette mit den Geschwistern Pfister. Darauf freue ich mich sehr.
Operette würde man von Ihnen nicht erwarten. Man sieht auch kaum Komödien mit Ihnen.
Leider. Dabei läge mir ebenso das Komische wie in «Lovely Louise». Man kann es nicht nur spielen, man muss es auch ein wenig sein und diese Art von Humor mögen. Insofern bin ich froh, dieses Angebot erhalten zu haben. Im Theater wie im Film decke ich eine ziemlich breite Palette ab. Nach «Schattenmann» sind dann Rollen gekommen wie Rechtsanwälte, Bankmenschen, welche in den Anzügen, die eher undurchschaubaren Typen spielen. Es macht mir keinen Spass, immer nur solche Personen zu verkörpern.
Dem Komischen bleiben Sie im Film weiterhin treu?
Ja, nach der schwarzen Komödie «Bis zum Ellenbogen» (2007) mit Justus von Dohnányi und Jan Josef Liefers machen wir in dieser Konstellation einen zweiten Film. Wir kennen uns in diesem «Dreamteam» alle vom Thalia Theater in Hamburg. Diesmal produzieren wir gemeinsam. Anna Loos und Angela Winkler sind auch dabei. Der Film heisst «Desaster» und ist eine schwarze Gauner-Komödie. Bald gehts für sechs Wochen nach St. Tropez zu Dreharbeiten.
Welchem Regisseur vertrauen Sie blindlings?
Hier in der Schweiz würde ich bei Markus Imboden sofort wieder mitmachen. Nach der Erfahrung mit dem «Verdingbub»: Er führt auf sanfte Art Regie, eher durch Fragestellungen – auf jeden Fall war es für mich sehr erfrischend. Und mit Bettina Oberli auch. Bei ihr gibt es hinter dem Drehbuch immer etwas Nonverbales, das sie rüberbringt, was ich mag.
Interview: Urs Hangartner
Stefan Kurt: Theater, TV, Kino
Stefan Kurt wurde 1959 in Bern geboren, wo er nach der Ausbildung zum Primarlehrer die Schauspielschule absolvierte. Von 1985–1994 war Kurt festes Ensemblemitglied am renommierten Thalia Theater in Hamburg. Es folgten ab Mitte der 1990er-Jahre zahlreiche Rollen in Fernseh- und Kinoproduktionen. Als Hauptfigur in der TV-Serie «Der Schattenmann» (Regie: Dieter Wedel) wurde der in Berlin lebende Stefan Kurt 1996 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Er arbeitet heute parallel für Theater, Fernsehen und Kino.