«Das ist der Beginn. Beten konnte ich früher als sprechen. Doch insgeheim konnte ich beides.» Wer da spricht in den eröffnenden Zeilen, ist ein Erzähler, der lange vorgibt, taubstumm zu sein. Und der sich mit Jesus und Gott identifiziert. Seine Lage: Er ist während des Stalinismus mit seiner Familie, als «Volksfeinde» angeklagt, aufs Land ausgesiedelt worden. Er hat (noch) Vater und Mutter, zwei Grossmütter und einen Halbbruder.

Die grosse Auffälligkeit dieses kleinen Stücks Prosa: Es umfasst exakt 100 Druckseiten mit je einem Kapitel, maximal eine Seite füllend, im Extremfall knapp eine einzige Zeile beinhaltend. In den Geschichten des Ich-Erzählers finden sich Sentenzen und Reflexionen. Das eine oder andere tönt nach Zitat: «Wie viele Sätze gibt es wohl insgesamt auf der Welt?, das würde ich gern jemanden fragen. Gott eingeschlossen. Wie viele Sätze haben Sie geschaffen? Dabei schafft gar nicht Gott die Sätze, sondern der Mensch.» – «Gott muss ein verdammtes Genie sein.» Die Schlusssätze lauten: «Es gibt kein Ende. Das ist der Schluss.»

Dem 1950 geborenen Ungarn Péter Esterházy ist mit ­diesem schmalen Roman ein Schelmenstück gelungen. Er hört nicht mit Seite 100 auf. Man muss unbedingt die Anmerkungen lesen, wo sich der Roman quasi fortschreibt, vieles erhellt wird. Er lädt geradezu ein zu einer zweiten Lektüre. Aufgelöst werden die Zitat-Quellen: Imre Kertész, Friedrich Nietzsche oder Simone Weil. Und natürlich die Bibel: das Markus-Evangelium, das vom Leiden und Sterben Jesu handelt.    

Péter Esterházy
«Die Markus-Version»
115 Seiten (Hanser 2016).