In Kafkas «Amerika» verkehrt sich der amerikanische Traum von der Tellerwäscherkarriere ins Gegenteil: Der 17-jährige Protagonist Karl Rossmann ist von seinen Eltern auf ein Schiff Richtung New York abgeschoben worden. Er war von einem älteren Dienstmädchen verführt worden und hatte ein Kind gezeugt. Sein neues Leben fängt vielversprechend an: Auf dem Schiff trifft er seinen reichen Onkel, der ihn bei sich aufnimmt. Nach einem unbeabsichtigten Fauxpas wird er aber verstossen und ist auf sich alleine gestellt. Von da an beginnt der soziale Abstieg – gutherzig, aber naiv gerät Karl in zunehmende Schwierigkeiten. Vom Liftboy wird er zum Diener bei der dicken Sängerin Brunelda und landet später beim «Naturtheater von Oklahoma». Dort verweist man ihn von der «Kanzlei für Ingenieure» in die «Kanzlei für Leute mit technischen Kenntnissen», in die «Kanzlei für gewesene Mittelschüler» und schliesslich in die «Kanzlei für europäische Mittelschüler».

«Der Verschollene» nannte Kafka seinen Roman, der zwischen 1911 und 1914 entstanden und unvollendet geblieben ist. Sein Freund Max Brod veröffentlichte das Fragment drei Jahre nach Kafkas Tod unter dem Titel «Amerika». Auch wenn sich Kafkas erster Roman weniger verschachtelt und traumartig liest als die Nachfolgeromane, ist sein Protagonist doch eine typische Kafka-Figur: Mit seinem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und seiner Gutgläubigkeit rennt er gegen Hierachien und Autoritäten an, verliert sich in absurden Situationen und befindet sich auf der steten, erfolglosen Suche nach seinem Platz in der Gesellschaft.


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Franz Kafka
«Amerika»
320 Seiten
Erstausgabe: 1927
Heute erhältlich
bei Suhrkamp.
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