Seine ihr gewidmeten Gedichte empfinde sie als «zu wolkig sentimental», sagt die Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé dem jungen Poeten Rilke im aktuellen Film. Man könnte es also mit lesenswerter Rilke-Prosa versuchen, nämlich mit seinem einzigen Roman «Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge».
 
Dichter in der Stadt

Der Paris-Tagebuchroman ist zwischen 1904 und 1910 entstanden. Das Buch gilt als erster deutscher Roman, der sich vom Realismus des 19. Jahrhunderts verabschiedete. Rilke praktiziert die Abkehr von kontinuierlicher Handlung und gestaltet die Aufzeichnungen als Schilderungen, Reflexionen und Erzählung in assoziativen Bögen. Solche Sätze findet man darin: «So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier.» In den Gassen riecht es «nach Jodoform, nach dem Fett von pommes frites, nach Angst. Alle Städte riechen im Sommer.»  «Elektrische Bahnen rasen läutend durch meine Stube. Automobile gehen über mich hin.» Gegen Ende des Buches heisst es einmal: «Viel später erst wird ihm klar werden, wie sehr er sich damals vornahm, niemals zu lieben, um keinen in die entsetzliche Lage zu bringen, geliebt zu sein.»

Der dänische Adelige Malte Laurids Brigge versucht sich in der Kulturmetropole als Dichter, er beobachtet und beschreibt, nimmt die Grossstadt sinnlich wahr, er erinnert sich, verarbeitet seine eigene existenzielle Krise, gibt seiner Einsamkeit und Verlorenheit Ausdruck. Am Ende ist es doch Lyrik: Viele der Eintragungen lesen sich wie Prosagedichte …

Buch
Rainer Maria Rilke
«Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge»
Originalausgabe: 1910
Heute erhältlich u.a. bei Insel