Verantwortung und Schuld: Das sind Themen, die dem Gesellschaftskritiker Lukas Bärfuss unter den Nägeln brennen. So lässt er in seinem Theaterstück «Malaga» etwa ein frisch getrenntes Paar eine eigennützige Entscheidung fällen. Weil beide am Wochenende etwas Spannenderes vorhaben, als für das gemeinsame Kind zu sorgen, muss auf die Schnelle ein Babysitter her. Trotz Zweifel geben die Eltern ihr Kind einem 19-jährigen Filmstudenten in Obhut – mit gravierenden Folgen. Die Eltern zahlen einen hohen Preis für ihre Selbstverwirklichung. 

Eine andere Art von Verantwortung wird dem Arbeiter Tony im Stück «Zwanzigtausend Seiten» aufgebürdet. Nachdem ihm eine Kiste mit Büchern auf den Kopf gefallen ist, wird jeder einzelne Satz darin in seinem Gedächtnis abgespeichert. Fatalerweise handelt es sich nicht um leichte Kost, sondern um historische Berichte über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Von den Schicksalen der jüdischen Flüchtlinge, die über die Schweizer Grenze geschafft und deportiert wurden, will aber niemand etwas hören. Längst sind sie dem kollektiven Vergessen anheimgefallen. So schnell wie möglich will Tony sein Wissen loswerden … 

Was bedeutet Verantwortung für den Einzelnen und für die Gesellschaft? Der 1971 geborene Bärfuss stellt in seinen Romanen, Essays und Theaterstücken unbequeme Fragen und sorgt als einer der wenigen politisch engagierten Schweizer Autoren mit kritischen Aussagen zu seinem Land zuweilen für Aufruhr. «Malaga» (2010) und «Zwanzigtausend Seiten» (2012) hat Lukas Bärfuss für das Schauspielhaus Zürich geschrieben, wo zurzeit sein neues Werk «Frau Schmitz» zu sehen ist. Nachzulesen sind die beiden Stücke in einem Band, den der Wallstein Verlag herausgegeben hat. Darin enthalten ist auch Bärfuss’ «Parzival» (2010) nach dem mittelhochdeutschen Versroman von Wolfram von Eschenbach. Auch hier muss sich ein junger, törichter Mann mit der Verantwortung auseinandersetzen, die er anderen gegenüber hat, bevor er zum Gralskönig werden kann.Babina Cathomen

Lukas Bärfuss
«Malaga – Parzival – Zwanzigtausend Seiten»
Erstmals erschienen: 2012. Erhältlich bei Wallstein.