Irland in der Nachkriegszeit; der junge Florian Kilderry zieht mit seiner Kamera durch die Provinz. Dabei stösst er auf eine Begräbnisprozession, bei der er die Farmersfrau Ellie Dillahan kennenlernt. Sie ist zwar glücklich verheiratet, spürt aber dennoch eine Leere in sich, wie sie viele Menschen in Trevors Romanen kennen, besonders Frauen. Ellie etwa sagt, sie sei zwar «zufrieden, ausser dass ich kinderlos bin». Geübte Trevor-Leser ahnen bereits den emotionalen Abgrund, vor dem sie steht. Das ist die Ausgangslage in Trevors Novelle «Liebe und Sommer», die zuletzt von ihm auf Deutsch erschienen ist.

Nach einer weiteren zufälligen Begegnung entwickelt sich eine zarte Bande zwischen Florian und Ellie. Aber im ländlichen Irland bleibt Heimliches nicht unentdeckt. So beobachtet die Tochter der frisch Begrabenen das klandestine Liebespaar. Die Späherin selbst hatte vor vielen Jahren nach einem Verhältnis mit einem verheirateten Mann eine Abtreibung hinter sich.

Der wunderbare Erzähler William Trevor beherrscht wie in allen seinen Geschichten das Ungesagte meisterhaft. Die Farmer in der irischen Provinz führen ein scheinbar zufriedenes Zusammenleben, «sie bringen am Ersten des Monats die Tiere auf den Markt und leihen sich von einer der beiden lokalen Banken von Rathmoye Geld aus». Alle kommen sie irgendwie zurecht und sind dabei stets bemüht, das Verschwiegene ja nicht aufbrechen zu lassen: «Nichts passiert in Rathmoye, sagen die Einheimischen, aber das ist eine Übertreibung», heisst es. Vieles passiert, man darf es nur nicht wissen.

William Trevor hat neben seinen Romanen zahlreiche Kurzgeschichten und Erzählungen geschrieben. Er entwickelte dieses Genre zu einer grossartigen Meisterschaft, indem er mit wenigen Zeilen eine dichte Atmosphäre schafft, die seine Leser gefangen nimmt – exakt wie in diesem Buch. 

Buch
William Trevor 
«Liebe und Sommer» 
Erstmals auf Deutsch erschienen: 2009
100 Seiten 
Heute erhältlich bei Hoffmann und Campe.