Es mieft und sieft: George Harvey Bone, ein schlichtes Gemüt mit schizoiden Zügen, leidet schon sein Leben lang. In der Schule für nicht ganz voll genommen, machen ihm die «toten Momente» und «Klicks» im Kopf zu schaffen. Setzen sie ein, nimmt er die Umgebung wie im Film wahr, als sei «urplötzlich der Ton ausgefallen».
Mehr schlecht als recht schlägt sich George durchs Leben. Er verbringt viel Zeit in rauchverhangenen Pubs und finsteren Pensionen rund um den Londoner Earl’s Court. In dieser dunklen Gegend verliebt er sich in Netta Longdon. Sie ist ein Luder, hält George hin und nutzt ihn zusammen mit ihren luschen Freunden masslos aus. George spürt das, ersäuft seinen Kummer im Alkohol und bleibt doch besessen von ihr. Aber er weiss: Er muss sie töten und danach ins ländliche Maidenhead zurückkehren, weiter oben an der Themse gelegen. «Weil er dort glücklich gewesen war mit seiner Schwester Ellen. Sie hatten zwei herrliche Wochen verbracht, und gut ein Jahr später war sie gestorben. Er würde wieder den Fluss hinauffahren und dort Fische finden.»
Was finster beginnt, wird traurig enden. Denn Nettas Gemeinheiten werden zusehends dreister. Und die Klicks in Georges Kopf nehmen zu – nicht nur, aber sicher auch wegen Georges exzessiver Trinkerei, die der Schriftsteller Patrick Hamilton in den düstersten Farben umschreibt. «Man muss dieses Buch eigentlich waagrecht halten, damit sich keine Sturzbäche von Bier und Schnaps aus ihm ergiessen», schreibt Denis Scheck im Nachwort des Romans, der jetzt bei Dörlemann neu aufgelegt wurde.
Der 1904 in Sussex geborene Schriftsteller Patrick Hamilton wusste, wovon er schrieb. Der Sohn eines Trinkers wurde bereits in jungen Jahren selbst zum Alkoholiker und brauchte zum Ende seines Lebens den «Whisky wie das Auto Benzin». Er starb mit 58 an einer Leberzirrhose.
Der grosse Beobachter
Patrick Hamilton startete bereits in jungen Jahren mit dem Verfassen von experimenteller Literatur. Nach seiner Schulzeit ging er nach London, wo er sein Geld als Schauspieler und Stenotypist verdiente; in den Morgen- und Abendstunden schrieb er. Nebst dem fuhr er gerne mit dem Fahrrad durch London. Auf diesen Erkundungstouren galt sein «unheilbares» Interesse vorwiegend den finsteren Grossstadtgegenden, was ihn nach eigener Aussage mehr als einmal in «äusserst kompromittierende und gefährliche Situationen» brachte.
Bereits mit 21 unterschrieb Hamilton den Vertrag für seinen ersten Roman «Monday Morning». Weitere Bücher folgten. Berühmt wurde er bei uns vor allem mit seinen Theaterstücken «Gaslicht» und «Cocktail für eine Leiche», die beide verfilmt wurden, letzteres 1948 von Alfred Hitchcock mit James Stewart in der Hauptrolle.
Der 1941 erschienene Roman «Hangover Square» war Hamiltons achtes Werk. Es gilt neben dem späteren Roman «Sklaven der Einsamkeit» (1947) als grösstes Werk des englischen Autors.
Patrick Hamilton
Hangover Square
396 Seiten
Erstausgabe: 1941
Neu aufgelegt bei Dörlemann.