«Clemens, die Tüten!!!» Man kann den genervten Tonfall in Lisas (Pauline Werner) Stimme verstehen. Ihr Freund (Sebastian Jakob Doppelbauer) klimpert lieber auf seiner Gitarre, als dass er beim Auszug mit anpackt. Dabei sollte er das Bücherregal ausräumen, Einkäufe reinbringen und die Lasagne zubereiten fürs Abschiedsessen vor dem Umzug von Hannover nach Berlin. Die Anspannung ist mit Händen zu greifen.
Es geht um Liebe, Essen, Musik und vieles mehr
Sagen wir es gleich: «Letzter Abend» ist ein Film, der einen derart in den Bann zieht, dass man mitunter vergisst, dass es ihn gar nicht geben dürfte – jedenfalls nicht so gut. Gedreht kurz nach dem ersten Lockdown für schmale 4000 Euro in einer leeren Wohnung, hätte man eher ein Schwurbel-Experiment erwartet, das an den eigenen Ambitionen zerschellt. Der Ensemblefilm von Lukas Nathrath ist indes das Gegenteil und überzeugt als Zerfleischung der Generation Y, wenn nach und nach die Gäste bei Clemens und Lisa eintreffen – bloss nicht die, welche eingeladen wurden.
Zum Beispiel sitzt da plötzlich eine Backpackerin (Isabelle von Stauffenberg) am Tisch, die ganz dringend ihr Handy aufladen müsste. Oder eine Nachbarin von oben (Susanne Dorothea Schneider), die mit Mehl aushilft und jetzt alle Anwesenden mit Esoterikgerede und Aushorchmanövern nervt.
Ein solches Szenario könnte rasch ins Hämische oder Dämliche abdriften. Tut es aber nicht, weil Debüt-Regisseur Lukas Nathrath und sein Co-Autor und Hauptdarsteller Sebastian Jakob Doppelbauer eine Grundmelancholie in ihren Film einpflanzen, die alle Lächerlichkeiten der Conditio humana miteinschliesst.
Jede und jeder von uns könnte mit an diesem Tisch sitzen und sich beim allgemeinen Fettnäpfchen-Wettbewerb beteiligen. Es geht um Liebe, Corona, Depressionen, Essen, Suizid oder Musik. Und immer prallen die Welten so heftig aufeinander, bis sich die Protagonistinnen und Protagonisten entschuldigen oder ins Badezimmer flüchten, um weinend zusammenzubrechen.
Drama, Unterhaltung und Entlarvung
Davon bleiben auch Lisa und Clemens nicht verschont. Sie hat gerade ihr Medizinstudium in Hannover abgeschlossen und tritt bald ihre erste Stelle an der Berliner Charité an. Er dagegen hat nur seine selbst komponierten Songs und seine Depressionen, was ihn in jeder noch so verzwickten Krisenlage dazu bringt, «Alles gut» zu sagen.
Regisseur Nathrath gelingt es, eine Generation zu spiegeln, die blindlings immer wieder auf die Eskalation zusteuert. Zum Beispiel, wenn der österreichische Schauspieler Marcel (Nikolai Gemel) in die Runde tritt und so oft mit seinem Akzent nachgeäfft wird, bis es wehtut und der Veräppelte die Contenance verliert.
Besser kann man Drama, Unterhaltung und Entlarvung nicht zusammenbringen – vor allem nicht für so wenig Geld. Da ist «Letzter Abend» zweifellos ein Meilenstein, und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn sich jetzt nicht alle Filmproduktionsfirmen um diese Jungtalente reissen würden.
Letzter Abend
Regie: Lukas Nathrath D 2023, 90 Minuten
Ab Do, 13.6., im Kino