Das waren noch Zeiten, als enthemmte Jugendliche zu Dixieland tanzten und Jazz der letzte Schrei war. Als aus Pfadimusikern Profijazzer wurden, die ganz Europa eroberten. In seinem Buch «Hot!» erzählt der Berner Pophistoriker Samuel Mumenthaler die Frühgeschichte des Jazz in der Schweiz. Er steigt ein im jungen 20. Jahrhundert, als in Zürich der Dadaismus erfunden wurde und in Bern ein Polizistensohn seine Band mit einem Schlagzeug bestückte.
Hatte man eben noch Schottisch und Polka getanzt, waren nun Cakewalk und Foxtrott angesagt. Mumenthaler, einst selbst Musiker bei Bands wie Züri West oder Phon Roll, erzählt bildhaft packend von den damaligen Partys, die noch Stubete waren, von bejubelten Tanzkapellen und wagemutigen Schweizern, die den Aufstieg aus ihren Übungskellern in Kaffeehäuser schafften, dann in Berghotels spielten und schliesslich in den Clubs von Hamburg und Berlin.
Detailreich sind die Karrieren von Teddy Stauffer und Ernest Berner beschrieben, von Betty Bestgen, der ersten Schweizer Schlagzeugerin, und natürlich Hazy Osterwald. Sie alle spielten zum Tanz auf, liebäugelten aber auch mit dem improvisierten Hot Jazz und dem intellektuellen Bebop.
Mumenthaler hat für sein Buch, das er mit zahlreichen Fotografien anreichert, ganze Archive durchlesen. Faktenreich ausgeleuchtet, wird sein Abriss zur so unterhaltsamen wie spannenden Lektüre, die letztlich auch die politische und kulturelle Geschichte der Schweiz von 1920 bis 1970 aufarbeitet.
Saxofone auf Sinnsuche
Der Jazz hat im 20. Jahrhundert einerseits die Massen unterhalten und beim Tanzen begleitet. Andererseits hat sich das Genre auch zu einer anspruchsvollen Kunstmusik gebildet. Was in dieser gängigen Gegenüberstellung fehlt, ist die spirituelle Dimension. Dieser geht Uwe Steinmetz in seinem neuen Buch «Jazz und Spiritualität» nach. Der Jazz hat frühe Wurzeln in den Gesängen der afroamerikanischen Gemeinschaft.
Und Religion und Spiritualität haben ihn während seiner ganzen Geschichte geprägt, so Steinmetz’ Grundthese. In seinem kenntnisreichen Gang durch die Jazzgeschichte legt der deutsche Saxofonist und Musikwissenschafter den Fokus auf religiöse und spirituelle Quellen, Haltungen und Botschaften. Dank 50 QRCodes, die zu Hörbeispielen führen, bleibt seine Darstelung nicht trockene Theorie, sondern lädt ein, das Erläuterte selbst nachzuvollziehen. Freilich gehen die Anfänge des Jazz den ersten Tonaufnahmen lange voraus.
Doch aus Aufnahmen der 1920er und aus Textquellen lässt sich rekonstruieren, wie zentrale Aspekte des Jazz bereits in den rituellen Chorgesängen der afroamerikanischen Sklaven angelegt waren. In Form der Gospelmusik fand zudem das Spirituelle Eingang in den New-Orleans-Jazz. Während sich Louis Armstrong zeitlebens in der christlichen Tradition sah, nahmen die Bebop-Musiker eine andere Haltung ein. Sie verstanden sich weder als Unterhalter noch als Übermittler von Botschaften, sondern als Musiker allein im Dienst der Kunst.
John Coltrane und der Spiritual Jazz
Ab den 1960ern sorgten dann Instrumentalisten für Aufmerksamkeit, deren Schaffen von einer neuartigen Spiritualität beseelt war. So sind John Coltranes Improvisationen klingender Ausdruck einer Suche nach Lebenssinn und spiritueller Wahrheit. Steinmetz sieht Coltrane und seinen Kreis als Beginn einer neuen Tradition von spirituellem Jazz, die sich bis heute fortführt, etwa mit Wayne Shorter, Jan Garbarek oder Kamasi Washington.
Spiritual Jazz ist weder Kirchenmusik noch das Aufführen von religiösen Jazzkonzerten, sondern ein musikalisches Schaffen, das eng mit der spirituellen Suche der Künstler zusammenhängt. In seinem Buch zeigt sich Steinmetz als kompetenter Musikwissenschafter und zugleich als enthusiastischer Botschafter des Spiritual Jazz. Sein Befund ist dennoch stichhaltig: Auch in unserer säkularen Gesellschaft gibt es Formen der musikalischen Hinwendung zum Transzendenten.
Der politische Jazz
Jazz war immer auch politisch. Entstanden aus Klagegesängen von Sklaven und tröstlichem Gospelgesang, hat er sich zur Musik der Befreiung und Emanzipation von Afroamerikanern in einer bis heute rassistisch durchsetzten Gesellschaft entwickelt. Peter Kemper, Musikkritiker der «FAZ», stellt diese Entwicklung in seinem umfassenden Buch anhand von Exponenten dar, durchleuchtet aber auch stilistische Entwicklungen und ästhetische Konzepte des Jazz.
Bücher
Samuel Mumenthaler
Hot! Jazz als frühe Popkultur
328 Seiten
(Zytglogge 2024)
Uwe Steinmetz
Jazz und Spiritualität
168 Seiten
(Claudius 2023)
Peter Kemper
The Sound of Rebellion – Zur politischen Ästhetik des Jazz
752 Seiten
(Reclam 2023)
Lesungen
Buchpremiere «Hot!»
Sa, 2.3., 20.30
Buchhandlung Stauffacher Bern
Mi, 6.3., 21.00
Atlantis Basel
So, 10.3., 20.20
El Lokal Zürich
Fr, 22.3., 20.00
Swissjazzorama Uster ZH