Er fälscht Studien zur Giftigkeit eines Pestizids, rast am liebsten mit seinem Porsche halsbrecherisch um die Kurven – und setzt für Klimaaktivisten Leib und Leben aufs Spiel. Mit seinem Protagonisten Greg hat der 74-jährige französische Autor Philippe Djian eine höchst ambivalente Figur geschaffen.

Die Frage nach der Moral verhandelt er aus unterschiedlicher Perspektive und unter der Prämisse, dass jeder Mensch Engel und Teufel in sich trägt. Besonders wenn man an seinen Privilegien festhalten will, wie Greg weiss: «Man spuckt nicht in die Suppe, wenn man Porsche fährt.» «Ein heisses Jahr» ist in Frankreich unter dem Titel «2030» erschienen und spielt in ebendiesem Jahr.

Zehn Jahre sind vergangen, seit sich «das Mädchen mit den Zöpfen», unschwer als Klimaaktivistin Greta Thunberg zu erkennen, für eine bessere Welt eingesetzt hat. Trotz ihrem Engagement steht die Welt in Flammen. Denn 2030 ist der Klimakollaps nah: Drückende Hitze und sintflutartige Regenfälle wechseln sich ab, die Wälder brennen, das Wasser ist knapp, das Stromnetz bricht ständig zusammen, und die politischen Fronten sind verhärtet. Attentate sind an der Tagesordnung.

Gewissensbisse mit Engagement bekämpfen

In diesem buchstäblich überhitzten Klima agieren Djians Figuren oft am Rand des Nervenzusammenbruchs. Allen voran der Chemiker Greg, der im Labor seines Schwagers Anton arbeitet, einem Unternehmen, das sich «schon längst nicht mehr um Redlichkeit oder Ethik scherte».

Greg geniesst alle Privilegien, die mit dem gut bezahlten Job einhergehen, kompensiert seine Gewissensbisse aber, indem er sich rührend um seine Nichten kümmert: die ständig wütende 20-jährige Aude, die seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt, und die 14-jährige Lucie, die sich mit der Leidenschaft der Jugend in der Klimabewegung einsetzt. Ausgerechnet Greg, der mit seinen gefälschten Pestizidstudien Dreck am Stecken hat, unterstützt Lucie vorbehaltlos in ihrem Aktivismus.

Und als er bei einer Klimaveranstaltung die ältere, attraktive Umweltschützerin Véra kennenlernt, verstärkt er sein Engagement noch. Gregs innere Zerrissenheit spitzt sich damit aber zu, denn er lebt in ständiger Angst, dass er vor Véra auffliegt.

Der Autor zeigt sich ungewohnt politisch

Diese fieberhafte Energie, die beinahe überkochende Atmosphäre in einer Welt vor der drohenden Apokalypse, spiegelt sich in Djians Sprache: Ohne Kapitel und in rasendem Tempo lässt er die Dialoge ineinanderfliessen und bricht die Handlung zuweilen durch abrupte Übergänge auf. Verstörende Familiengeheimnisse enthüllt Djian nonchalant in Nebensätzen, teilweise ohne näher auf sie einzugehen.

Seine nüchterne Sprache lässt er mit dem Katastrophenszenario kontrastieren. Es sind aber auch diese Nüchternheit und die Auslassungen, welche die Figuren manchmal blass erscheinen lassen und eine Identifikation mit ihnen schwer machen. In «Ein heisses Jahr» zeigt sich der Pariser Bestsellerautor, von dem sechs Romane verfilmt wurden, ungewohnt politisch. Dennoch kommt sein wiederkehrendes Thema – die erotischen Spannungen und die Missverständnisse zwischen Mann und Frau – auch im neusten Werk nicht zu kurz.

Buch
Philippe Djian
Ein heisses Jahr
Aus dem Französischen von Norma Cassau
240 Seiten
(Diogenes 2023)