Schon das Buchcover macht stutzig: Was bitte soll Joseph Goebbels mit Jazz am Hut gehabt haben? Oder ist da gar nicht von jenem Goebbels die Rede – man weiss schon, von welchem? Wer sich dann reinwagt in diese Geschichte, merkt bald: Doch, genau jener Goebbels ist gemeint, der 1940 als nationalsozialistischer Reichspropagandaleiter in Berlin eine Jazzband lanciert haben soll. Welch gewagter Jux! Also weiterlesen oder weglegen

Ein irischer Faschist im Dienste der Nazis

Schon eine Kurzrecherche zeigt: Demian Lienhard erzählt in seinem Roman «Mr. Goebbels Jazz Band» keinen Jux, sondern die Wahrheit. «Ich habe in meiner Familiengeschichte nach möglichen Stoffen Ausschau gehalten», verrät der Autor auf Anfrage. «Über zwei meiner Vorfahren, die wegen Hochverrats geköpft wurden, bin ich auf William Joyce und dessen Geschichte gestossen.» Joyce, so liest man im Roman und bei Wikipedia, wurde als Ire in New York geboren.

Als seine Familie nach Irland abgeschoben wurde und von dort aus nach England, entwickelte er sich zum Faschisten. In Berlin wurde er zur Stimme von Goebbels’ Propagandasender «Germany Calling» und zum Manager jener skurrilen Jazzband, die das britische Publikum mit umgetexteten Jazzsongs manipulieren sollte. Lienhard erzählt diese Geschichte, die sich mit jener der Bandmusiker verwebt. Unter denen befinden sich Juden und staatenlose Flüchtlinge, die bei jedem falschen Ton um ihr Leben bangen.

Zweite Hauptfigur ist der Schweizer Fritz Mahler. Der ambitionierte, aber erfolglose Schriftsteller soll die Geschichte von «Mr. Goebbels Jazz Band» als Roman niederschreiben, um die Wirkung des Propaganda-Coups im Reich zu festigen. Ist Mahler also Lienhard? Nicht doch, sondern dessen vermeintlicher Verwandter, dessen Roman Lienhard bei Recherchen im Berner Staatsarchiv gefunden hat. Dies jedenfalls lässt der Autor seine Lesenden glauben, dem kulturtipp aber schreibt er dazu: «Bloss weil einiges davon wahrscheinlich erscheint, muss es nicht wahr sein.»

Schaudern und Erheiterung

Ein Schelm also, dieser Demian Lienhard? Schon in seinem Erstling «Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat» (2019) verblüffte er mit originellem Ton. «Mir geht es um die Verhandlung der Frage, wie wir glaubhafte Narrative kreieren, die nicht per se der Wahrheit entsprechen müssen», kommentiert der 36-jährige Berner.

Sein Roman thematisiert also nicht nur, was Propaganda anrichten kann, er demonstriert die Wirkmacht von Sprache gleich selbst. Faszinierend, zumal Lienhard ein begnadeter Spracharbeiter ist. Seinen Roman beginnt er mit einem Satz, der aus jenen düsteren Unzeiten herüberzuplärren scheint und dabei Schaudern und Erheiterung zugleich auslöst: «Über dem Reich, über der Hauptstadt, über Berlin, da war an diesem Vormittag eine durch und durch deutsche Sonne am blankgeputzten Himmel zu sehen.»

Derart «rassig» gehts weiter in diesem Roman, der es auf verspielte Weise schafft, eine unsägliche Episode der Geschichte unterhaltsam in Erinnerung zu rufen. Und beim Leser das Stutzen doch nie ganz aufzulösen.

Lesung
Demian Lienhard
Mi, 27.9., 19.30 Malzlager Aarau

Buch
Demian Lienhard
Mr. Goebbels Jazz Band
312 Seiten
(Frankfurter Verlagsanstalt 2023)