Gehen oder bleiben? Vor dieser Entscheidung steht ein ganzes Bündner Bergdorf. Denn der rutschende Piz Brunclia droht Vischnanca und seine Bewohner unter sich zu begraben. Angst, Verdrängung, Gleichmut, Wut – die Reaktionen auf die akute Gefahr sind unterschiedlich.

Zündstoff birgt auch die gestellte Bedingung: Die Bewohner erhalten die Entschädigungssumme nur, wenn sich alle geschlossen dafür entscheiden, das Dorf zu verlassen, damit ein Entwässerungsstollen gebaut werden kann – die Zukunft von Vischnanca ist damit höchst ungewiss. Die Münchner Autorin Petra Hucke, die Familie in der Schweiz hat, schreibt in ihrem Roman «Vom Gehen und Bleiben » aus der Perspektive einer Aussenstehenden, vermag sich aber mit grossem Einfühlungsvermögen in ihre Figuren hineinzuversetzen.

Da ist die Biobäuerin Ria, die sich nicht vorstellen kann, die Heimat ihrer Vorfahren zu verlassen, und die dem Berg ihre ganze Wut entgegenschleudert. Da ist Fabio, der mit seiner Familie vor Kurzem aus Deutschland in das idyllische Dorf gezogen ist, ohne von der Gefahr zu wissen. Oder seine kluge Tochter Johanna, eine Aussenseiterin, die in der Bewegung «Fridays for Future» Halt findet.

Hucke zeichnet die Nöte ihrer Figuren mit Fingerspitzengefühl – untermalt vom dumpfen Grollen des Piz Brunclia, der die zwischenmenschlichen Tragödien und bröckelnden Beziehungen verstärkt. Ihre mit rätoromanischen Einsprengseln gespickte Geschichte erzählt Hucke aus unterschiedlicher Perspektive. Sie schafft einen leichtfüssigen Roman über Heimat und Zugehörigkeit sowie das Verhältnis von Mensch und Natur.

Buch
Petra Hucke - Vom Gehen und Bleiben
432 Seiten (Fischer Krüger 2022)