Es ist ein schmales Buch, das gerade einmal 113 Seiten umfasst. Und hat dennoch Gewicht. Der Text ist zwar luftig gesetzt, aber inhaltlich stark verdichtet. Vom Prolog geht die Geschichte nach wenigen Seiten in eine Ich-Erzählung über und bleibt im weiteren Verlauf assoziativ.
Eine junge, finanziell erfolgreiche Frau stellt ihr Dasein als Bankerin infrage. Sie ist in ihrem durchgetakteten Leben an einem Punkt angekommen, wo sie sich fragt, ob es sich wirklich lohnt, so weiterzumachen wie bisher. Schliesslich hat sie ihr beruflicher Aufstieg als schwarze Frau viel Kraft gekostet. Und jeden Tag schwingt die Angst mit, alles zu verlieren: «… nach Jahren des Abmühens, des Ankämpfens gegen die Strömung, bin ich so weit, meine Arme sinken zu lassen. Mit dem Strampeln aufzuhören. Das Wasser einzuatmen. Ich bin erschöpft. Vielleicht ist es Zeit, diese Geschichte zu beenden.»
Trotz Erfolg schwingt jeden Tag die Angst mit
An diesem Wendepunkt angekommen und fatalerweise gekrönt von einer unvermutet anstehenden Beförderung, treibt die Geschichte auf ein Wochenende zu, an dem die Ich-Erzählerin zu einer Feierlichkeit der Eltern ihres Freundes auf deren Landsitz eingeladen ist. Im Gegensatz zu ihr stammt der Freund aus begüterten Verhältnissen. Sein Stammbaum reicht weit in die Vergangenheit zurück, entsprechend geniesst er viele Privilegien. Die Ich-Erzählerin mit familiären Wurzeln in Jamaika ist zwar in Grossbritannien geboren, fühlt sich aber aufgrund des erlebten Rassismus und all der Zumutungen und Zuschreibungen von aussen fremd im eigenen Land.
«Ich bin alles, was man mir befohlen hat zu werden. Es reicht nicht», hält sie fest. Neben ihrer psychischen Belastung, die mit einem Burn-out zu enden droht, wird ihr bei einem Arztbesuch Krebs attestiert. Sollte dieser unbehandelt bleiben, führe er zum sicheren Tod. Selbst mit dieser lebensbedrohlichen Nachricht geht die Ich-Erzählerin alles andere als offen um: Keinem einzigen Menschen erzählt sie davon und will sich auch nicht behandeln lassen. Von der Gesellschaft fühlt sie sich seit jeher als Objekt behandelt. Als Funktion in einem System: «Ich bin, was wir immer für das Empire waren: purer Scheissprofit. Eine natürliche Rohstoffquelle zum Ausbeuten und Ausbeuten, Niedermachen und Ausbeuten.»
Der Erzählton ist kühl und distanziert
Der bei Suhrkamp erschienene Roman, von der Schriftstellerin Jackie Thomae exzellent übersetzt, ist vieles in einem – kritische Gesellschaftsanalyse, historischer Exkurs, Essay und bissige Zeitkritik. Der Erzählton ist kühl und distanziert. Aufgefächert in einzelne Szenen, wird hier die Geschichte eines sozialen Aufstiegs vor dem Hintergrund des kolonialen Erbes erzählt, wobei die Ich-Erzählerin bis zum Ende namenlos bleibt. Genauso namenlos wie ihr Freund. Natasha Browns vielgelobter Erstling ist nahezu makellos. Nichtsdestotrotz stellt sich einem am Ende der Lektüre die Frage, ob etwas mehr Fleisch am Knochen nicht doch ergiebiger gewesen wäre.
Buch
Natasha Brown
Zusammenkunft
Aus dem Englischen von Jackie Thomae
113 Seiten
(Suhrkamp Verlag 2022)