Am wohlsten ist es Peter, wenn er bäuchlings auf dem Stubenboden liegt, nichts sagen muss und innerlich Krieg spielt. Denn mit Krieg kennt sich der Achtjährige aus, er erlebt ihn täglich, wenn die Eltern sich streiten oder der Vater ihn versohlt. Wenn er in der Schule nicht klarkommt. Wenn er durchs Quartier sprintet auf der Flucht vor fantasierten Verfolgern. Wenn die Mutter vom Lager erzählt.

Der Knabe wächst in Basel auf, zieht nach der Scheidung seiner Eltern mit der Mutter nach Den Haag, kehrt als Erwachsener zurück, schwimmt den Rhein hinauf wie ein verirrter Wal. Peter verwandelt sich nicht nur in diesen Wal, sondern auch in Indianer, in Musik, in seine Mutter. Und wenn diese sich erinnert an die bedrohlichen Japaner, fühlt Peter mit ihr und denkt sich zurück in die 40er-Jahre im Konzentrationslager auf Indonesien. Dort erlebte seine Mutter den Zweiten Weltkrieg als Kind niederländischer Kolonialisten.

Mutters Trauma wird zu Peters Trauma. Wie sie ist er allein auf der Welt, isoliert sich selbst und flieht in Träume und Fantasiewelten. Der Bub wird ab­geklärt, bei der Diagnose fallen Wörter wie Mutismus und Autismus. Wie er Wege aus seiner Isolation findet in ein Erwachsensein mit Sprache, Büchern und Mitmenschen, erzählt Peter Gisi auf eindrückliche Weise, die stets auch Wärme und leise Ironie zulässt. Der 65-jährige Basler verwendet wunderbar sinnliche Sprachbilder, in denen Erinnerungen duften, Warenhauslüftungen Glücksgefühle auslösen oder Musik in der Farbe Gelb erklingt. In seine Schilderungen flicht Gisi Erinnerungen seiner Mutter an ihre Kriege, die sie ein Leben lang verfolgten. Peter schafft es irgendwann, die Kriege in den Kühlschrank zu sperren oder wie eine Haut­kruste abzukratzen.

Lesungen
Do, 9.6., 19.00 Literaturhaus Basel
Sa, 11.6., 17.00 Altstadt Buchhandlung Bülach ZH

Buch
Peter Gisi
Mutters Krieg
137 Seiten
(Lenos 2022)