Was für eine Ohrfeige: «Die grossen Formen der Kammermusik, welche Fräulein Le Beau als die erste ihres Geschlechts kultiviert, erzwingen unseren Respekt …, rechtfertigen aber auch manche Besorgnis. Denn sie bringen eine nicht reiche Erfindungskraft notwendig in Gefahr, breit und redselig zu werden.» Das betreffende «Fräulein» war Luise Adolpha Le Beau, geboren 1850 im badischen Rastatt. Mangelnde Erfindungskraft, das war der bürgerliche Standard-Vorwurf gegenüber weiblichen Komponistinnen.

Und es war nicht irgendwer, der hier dieses Stereotyp verbreitete, sondern Eduard Hanslick, der wichtigste Musikkritiker seiner Zeit. Man kann nicht behaupten, dass er sich speziell gegen Komponistinnen ausgesprochen hätte. Der Wiener Kritikerpapst hat nämlich alles verdammt, was nicht seiner traditionsbewussten Musik-­Ästhetik entsprach – und Wagner, Verdi, Bruckner oder Mahler genauso abgewatscht.

Nicht ins Schema pressen lassen

Der Name klingt schon wie Musik – ist allerdings kein Künstlername: Luise Adolpha Le Beau. Ihr Vater, ein Offizier und Komponist, brachte ihr musikalische Grundlagen bei. Mit 5 begann sie, Klavier zu spielen, mit 16 stand ihr Entschluss fest: Sie wollte Komponistin werden. Die Familie hatte nichts dagegen. Man riet ihr, hübsche Lieder und artige kleine Klavierstücke zu schreiben – das war, was man damals Komponistinnen am ehesten zutraute.

Und selbst eine Clara Schumann, bei der Luise ein Jahr lang Klavier studierte, hat sich in dieses Schema pressen lassen. Luise Adolpha wollte sich jedoch nicht mit «Albumblättern» oder «Liedern ohne Worte» begnügen. Sie muss nicht nur begabt, sondern auch intelligent und auf jeden Fall sehr selbstbewusst gewesen sein. Hans von Bülow, einer der wichtigsten Dirigenten jener Zeit, der komponierende Frauen überhaupt nicht schätzte, machte bei Luise eine Ausnahme und empfahl sie weiter an Josef Gabriel Rheinberger in München.

Der gebürtige Liechtensteiner war einer der wichtigsten Kompositionslehrer Europas. Aus seiner Klasse gingen Grössen wie Max Bruch oder Richard Strauss hervor. Doch Luise war Rheinbergers durch Orgel und Kirche geprägte Musiksprache zu langweilig. Berlioz, Wagner oder Liszt sagten ihr mehr zu, und so versuchte sie sich auf eigenen Wegen mit sinfonischen Dichtungen, Konzerten, gross besetzten Oratorien und auch einer Oper: «Der verzauberte Kalif».

Daneben entstanden Kammermusik und sehr viele Werke für Klavier. Ihre Musik wurde gespielt, ihre Werke gedruckt, sie erhielt Aufmerksamkeit und Wertschätzung, stiess aber auch auf Ablehnung. Unverblümt nannte sie beim Namen, was sie 1910 bewog, ihr Buch «Lebenserinnerungen einer Komponistin» zu schreiben: «Um auf die vielen Schwierigkeiten hinzuweisen, welche einer Dame auf dem Gebiet der musikalischen Komposition entgegenstehen, auf den Neid und die Missgunst der Kollegen sowie auf die Vorurteile und den Unverstand.»

Frauen komponierten in allen Epochen

Solche Lebensgeschichten sind typisch für Komponistinnen, nicht nur in Deutschland, und nicht nur im 19. Jahrhundert. «FemaleClassics» will diesem Umstand entgegenwirken, diesen Musikerinnen vermehrt eine Stimme geben und ihre Musik dem Vergessen entreissen.

Die Bratschistin Meredith Kuliew steht an der Spitze des Netzwerks, das seit 2022 unter anderem ein jährliches Festival ausschliesslich mit Musik komponierender Frauen veranstaltet, aber auch Workshops anbietet oder beratend, kuratierend und schreibend ihr Kernanliegen vertritt: Es gibt frauenkomponierte Musik, und zwar viel mehr, als wir denken, in allen Epochen. Und es lohnt sich, diese Werke zu suchen und aufzuführen.

Im Februar und März veranstalten «FemaleClassics» ein Festival mit je fünf Konzerten in Bern und Zürich, in dem jede einzelne Note von einer Frau geschrieben wurde und nun mehrheitlich von Frauen gespielt wird. Auch ein Streichquartett von Luise Adolpha Le Beau steht auf dem Programm, ein Werk, dem das grösste deutsche Musiklexikon MGG eine «sehr dichte zyklische Form» attestiert. Es erklingt zusammen mit Streichquartetten von Amy Beach und Elizabeth Maconchy.

Grosse Auswahl zeitgenössischer Werke

Ein weiteres Programm umfasst Kompositionen für Streichtrios von Emmy Frensel Wegener, Miriam Hyde oder Irene Britton Smith. Und auch in der Barockzeit gab es zahlreiche komponierende Frauen – wie das Konzert mit Musik von Isabella Leonarda, Chiara Margarita Cozzolani und anderen zeigt. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass komponierende Frauen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine Ausnahme waren.

Erst in den letzten 50 Jahren hat sich das geändert. Die Auswahl an zeitgenössischen Werken von Frauen ist sehr gross geworden, das zeigen die Programme von «FemaleClassics» eindrücklich. Darunter findet sich auch eine Uraufführung der chinesisch-schweizerischen Komponistin und Pipa-­Spielerin Yang Jing.

FemaleClassics Festival
Do, 15.2.–Do, 22.2.
Konservatorium Bern
Fr, 15.3.–Fr, 22.3.
Walcheturm, Helferei Zürich und Esse Winterthur
www.femaleclassics.com