Ob der Chefdirigent eines Orchesters wirklich so gut ist und ob der Opernintendant etwas kann – darüber unterhalten sich Kulturmenschen gern. Für aufgebrachte Diskussionen sorgen jedoch die Konzert- und Opernkartenpreise. Jene, die Geld haben, können gar nicht verstehen, wovon da geredet wird. Von den anderen hört man vielerlei Geschichten.

Die billigen Kategorien sind teurer geworden

Am Opernhaus Zürich etwa beobachtete ein Opernfan vor kurzem, dass zwei Tage vor einer nur mässig besuchten Vorstellung noch 30 bis 40 günstige Hörplätze im Verkauf waren. Als er am Abend an die Kasse ging, gab es keine Plätze mehr. «Verkauft!», hiess es. Es folgte eine heftige Diskussion – und schlieslich gab es dann doch noch einen Hörplatz.

Der Fan ging lächelnd hoch in den zweiten Rang und fluchte alsbald, waren doch die Hörplätze leer. Der Vorwurf war einfach: «Die sperren die billigsten Plätze, damit wir gezwungen werden, die teuren ab 95 Franken zu kaufen!» «Stimmt nicht», sagt Opernhaus-Finanzdirektor Christian Berner. «Alle Vorstellungen werden zu Beginn des Verkaufs eingerichtet. Vereinzelt gibt es dabei Sitzplatzsperrungen, etwa im Ballett wegen Sichtbeschränkungen.»

Vereinzelt komme es auch vor, dass man in sehr gut besuchten Aufführungen die letzte Reihe in den grossen Logen nicht in den Verkauf gebe, um den Dichtestress ein wenig abzubauen. Die Habitués kritisieren im mit 85 Millionen Franken subventionierten Opernhaus auch Konkreteres. Es schmerzt sie, dass die hintersten zwei Reihen im zweiten Rang – einst die billigste Kategorie neben den Plätzen mit Sichtbehinderung – mittlerweile eine Kategorie höher eingestuft werden.

Anders gesagt: Wer von einer Oper etwas sehen will, startet bei 95 Franken. Und klar: Es gibt Volksvorstellungen an wenigen Tagen im Monat. Wir reden hier aber von den normalen Vorstellungen. Unter diesem Aspekt ist es auch für viele schmerzhaft, dass die Karten für die Liederabende heute zu einem Einheitspreis von 60 Franken verkauft werden (früher ab 10 Franken). An der Mailänder Scala kosten sie 5 bis 50 Euro.

Preispolitik für Vermögende

Den Einheitspreis kennt auch das Zürcher Kammerorchester (ZKO), wenn die Formation in kleineren Sälen spielt, wie etwa beim ZKO-Festival. Da lag der Preis bei 75 Franken. Solcherlei Preispolitik ist gemacht für vermögende Klassikfreunde, da diese ihre Karten billiger als üblich erhalten – jene, die auf jede Zehnernote schauen müssen, sind die Leidtragenden.

Auf diesen Vorwurf antwortet Geschäftsführerin Helene Schneider finanzbuchhalterisch: «Das Zürcher Kammerorchester deckt etwa einen Drittel seiner Kosten mit Eintrittseinnahmen. Auch wenn wir nicht 100 Prozent der Kosten decken können, so ist es doch unsere Pflicht gegenüber dem Steuerzahler, gewinnorientiert zu arbeiten.» Anstatt die Preise so hoch anzusetzen, könnte das Orchester, wenn es keine höheren Subventionen erhält, aber auch die Löhne und Gagen von Aushängeschild Daniel Hope sowie den Gaststars halbieren.

Dann müsste man auch die Preise für die normalen Konzerte nicht so hoch ansetzen, kosten diese doch zwischen 60 und 110 Franken. Eigenartig ist auch, dass bei einem Blick auf den Online-Verkauf die schlechtesten und somit günstigsten Plätze gar nicht im Verkauf sind. Auf unsere Nachfrage heisst es, dass die niedrigste Kategorie im Tonhalle-Saal bei 35 Franken liege, und diese Plätze seien telefonisch und per Mail buch - bar. Und siehe da: Während der Recherche zum Artikel wurden diese Plätze online freigeschaltet.

Die Stars kassieren ab

Helene Schneider findet jedenfalls, man sei nun mal auf den Ticketverkauf angewiesen. Uminterpretiert heisst das: Wenn das ZKO nicht mehr Geld von der Stadt oder dem Kanton erhält, muss es auch nicht dafür sorgen, dass es billige Karten gibt. Aber ist das Subventionssystem nicht dafür da, dass alle Schichten in Konzerte und Opern gehen können? Buttern wir Millionen in die Orchester und legen Mäzene ihre Millionen drauf, damit die Stars abkassieren?

Migros-Classics-Intendant Mischa Damev hatte im kulturtipp Anfang Jahr deutlich gesagt, dass die Klassik gegen eine Wand fahre: Die Gagen und die Kartenpreise müssten halbiert werden. «Karten ab 30 Franken», warb Lucerne Festival im Sommer. Man wusste wohl, warum: Das Sommerfestival hat den Ruf, extrem teuer zu sein. Zu Recht: Die Karten kosten auch mal 350 Franken. Aber eben: Man ist weiterhin so schlau, für die weltberühmten Orchester jeweils Karten ohne Sichtbehinderung für 30 oder 40 Franken anzubieten, wenn auch nur wenige.

Kaum ist der Vorverkauf jeweils eröffnet, haben die Klassikfans diese Karten im Sack. Und dann kommt der Sprung für ein Sinfoniekonzert auf 80 beziehungsweise 150 Franken.

Günstiger in Basel, Bern und St. Gallen

Aber das Lucerne Festival erhält nur wenig Subventionen, muss nicht zwingend für eine soziale Durchmischung im Saal sorgen. Von anderen, viel höher subventionierten Orchestern, die ohne das Steuergeld bereits still wären, darf man hingegen erwarten, dass sie sich mehr um billige Karten kümmern. In Basel, Luzern und St. Gallen kosten Opernkarten viel weniger, aber auch Konzerte sind billiger.

Und im sinfonischen Bereich ist der künstlerische Unterschied kaum mehr auszumachen. Beim Tonhalle-Orchester kosten die billigsten Karten bei den Konzerten mit Chefdirigent Paavo Järvi 40 Franken, die teuersten 170. Beim Luzerner Sinfonieorchester kosten sie 25 bis 120, in Basel 35 bis 110 Franken. Die weltbesten Orchester kosten in ihren Heimstätten halb so viel wie in Zürich, die billigsten Karten auch achtmal weniger als in der Tonhalle – das hat nichts mehr mit der «teuren Schweiz» und den hohen Löhnen zu tun.

Die Berliner Philharmoniker kann der Musikfreund in ihrer Philharmonie von 28 bis 79 Euro erleben, die Münchner Philharmoniker von 24 bis 81 Euro, die Wiener Philharmoniker von 5 bis 123 Euro. Und in der Philharmonie in Paris kostet ein Konzert mit dem Orchestre de Paris 10 bis 62 Euro. Diese Zahlen machen klar, warum Kultureinkaufstourismus so beliebt ist. Unsere Kulturreise-Anbieter profitieren davon.