Ein Rechteck aus Kalkstein, darin eine Olivenöl-Masse: «Olivestone» heisst das Werk von Joseph Beuys (siehe grosses Bild rechts). Der Stein gilt als Symbol für die Weisheit, die Oliven lassen sich als Zeichen der Natur verstehen. Beides zusammen ist eine Verbindung, die das künstlerische Verständnis von Beuys verdeutlicht. «Olivestone» ist mit über 100 anderen Objekten, Installationen, Fotografien und Dokumenten im Kunsthaus Zürich unter dem Titel «Difesa della Natura» oder «Verteidigung der Natur» zu sehen.
Der deutsche Künstler (1921–1986) arbeitete in den 70er- und 80er-Jahren regelmässig in Bolognano, einem Weindorf in den südlichen Abruzzen. Dort lebt Baronessa Lucrezia De Domizio Durini in einem 500 Jahre alten Palazzo. Sie förderte über Jahre wie eine Besessene Beuys’ Werk. Die Mäzenin lernte ihn 1971 auf der Fähre nach Capri kennen, und es entstand eine Freundschaft, die auf einem gemeinsamen Kunstverständnis gründete.
Politisches Manifest
Joseph Beuys sah Kunst seit den späten 50er-Jahren in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Das Kunsthaus Zürich führt die Betrachtenden in dieser neuen Ausstellung deshalb hin zur «Sozialen Plastik», einer künstlerischen Kritik am Kapitalismus, den Beuys vehement ablehnte. Ihm schwebten soziale, basisdemokratische Lebensformen vor, die einer «solidarischen und freien Zusammenarbeit aller Menschen» verpflicht sind, wie das Kunsthaus in einer Einführung zur Ausstellung schreibt. Entsprechend wollte Beuys mit seiner Kunst keinen elitären Anspruch erheben, sondern allein dem Menschen und der gesellschaftlichen Veränderung dienen. Dies dokumentiert zum Beispiel «Getreide-Sortiermaschine – gegen den Hunger auf der Welt» (siehe rechts oben), eine Installation, die in Zürich ebenfalls zu sehen ist. Oder die «Rose für direkte Demokratie» (siehe links), eine gläserne Pflanze auf einem Marmortisch aus den 20er-Jahren.
Joseph Beuys arbeitete in Bolognano nicht etwa still vor sich hin. Er führte vielmehr mit Künstlern und Kritikern einen intensiven Diskurs, stets gefördert von der Baronessa und ihrem Ehemann Buby, der mittlerweile verstorben ist. So fanden zwischen Dezember 1976 und Februar 1978 zahlreiche Veranstaltungen über die Erneuerung der Landwirtschaft statt. Darunter auch die Aktion «Difesa della Natura». Beuys erschloss ein 15 Hektar grosses Gelände mit 7000 vom Aussterben bedrohten Sträuchern und Bäumen.
Am 13. Mai 1984 wurde er zum Ehrenbürger des Dorfes ernannt. Dennoch stiessen die Aktivitäten von Beuys und der Baronessa mitunter auf Kritik der lokalen Bevölkerung. So stellte sich vor drei Jahren ausgerechnet eine neue linke Stadtverwaltung gegen die künstlerischen Aktivitäten der Gönnerin und forderte «mehr volkstümliche Initiativen, die der Bürger nachvollziehen kann».
Beuys erlebte in seinem Leben manche Wandlung. Er wuchs im Nazideutschland auf, war aktives Mitglied der Hitler-Jugend. Im Frühjahr 1944 wurde er als Funker beim Absturz eines Sturzkampfflugzeugs schwer verletzt. Die Granatsplitter in seinem Körper liessen sich nie mehr völlig entfernen. Nach dem Krieg studierte Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf, wandte sich der Antroposophie zu und war als Bildhauer tätig. Bereits damals war sein Verhältnis zur Natur zentral; so war er mit dem Zoologen Konrad Lorenz und dem Tierfilmer Heinz Sielmann befreundet.
Kunst als Happening
Ab 1961 war Beuys Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie. In jener Zeit radikalisierte er sich politisch und stiess mit seinen Anliegen bei der Studentenschaft auf Resonanz. 1972 kam es zum Eklat: Der damalige Wissenschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, entliess Beuys nach einem Konflikt über den Studienzugang von Studenten, den Beuys erleichtern wollte. Zahleiche Intellektuelle von Heinrich Böll bis Martin Walser solidarisierten sich mit dem Entlassenen.
Damals war Beuys bereits ein anerkannter Künstler, dessen Werke an Auktionen Höchstpreise erzielten. Vor allem dank seiner Fluxus-Aktionen, Happenings mit Videos, Musik, Kunst und Licht. Er liebte Provokationen, um für sein erweitertes Kunstverständnis zu werben: Etwa mit seinem dreitägigen Aufenthalt in einer New Yorker Galerie – zusammen mit einem Kojoten, einem Tier, das bei den Ureinwohnern als heilig gilt. In der Schweiz entdeckte das Kunstmuseum Basel Beuys zuerst mit einer Ausstellung 1969 im Kupferstichkabinett; 1977 führte der Basler Ankauf des Werks «Feuerstätte 1» zu einer Kontroverse über Kunst in der öffentlichen Hand.
Die Baronessa Lucrezia De Domizio Durini muss sich zumindest solchen Debatten nicht stellen. Sie arbeitete an der Gestaltung der Zürcher Ausstellung aktiv mit; «Olivestone» schenkte sie dem Haus bereits vor Jahren. De Domizio Durini hat sich bis heute ganz dem «erweiterten Kunstbegriff» von Beuys verschrieben, der Kunst als sozialem Phänomen, das jeden Menschen direkt berühren sollte. Und was schliesslich dereinst Voraussetzung für eine bessere Gesellschaft sein soll.