Schauplatz ihres international erfolgreichen Debüts «Adam» (2019) war eine Konditorei, deren Betreiberin, gespielt von Lubna Azabal, einer Schwangeren Gastrecht gewährt. Der neue Film der marokkanischen Regisseurin Maryam Touzani (* 1980) spielt in einer Schneiderei in der Stadt Salé am Atlantik. Lubna Azabal ist in der Rolle von Mina zu sehen, die mit ihrem Ehemann Halim (Saleh Bakri) einen Laden in der Altstadt führt. Die Geschäfte laufen gut. Halim ist ein Maalem, ein Meister seines Handwerks. Seine Spezialität: das Schneidern von Kaftanen, von schönen Gewändern aus Samtseide mit kunstvollen Stickereien.

Mit Nähmaschinen ginge es schneller. Aber das kommt für Halim nicht infrage. Es gibt so viel zu tun, dass Mina und Halim einen Lehrling aufnehmen. Youssef (Ayoub Missioui) ist lernbegierig und talentiert. Und er weckt in Halim versteckte Sehnsüchte. Mutiges Werk über ein Tabuthema Wiederholt sucht Halim den Hamam auf, um sich in der Einzelkabine des Bads mit Männern zu treffen.

Mina ahnt, dass Halim ein Doppelleben führt. Spät gesteht er ihr: «Es tut mir leid. Ich versuchte, es zu unterdrücken. Ein ganzes Leben lang.» Sie ist verständig, hält an ihrer Liebe fest, selbst wenn der Mann – auch – Männer liebt: «Hab keine Angst davor, zu lieben.» Sie selber weiss, dass sie todkrank ist und nicht mehr lange zu leben hat.

Der alte petrolblaue Kaftan, dem Lehrling Youssef neuen Glanz verleiht, wird bei Minas Tod eine ganz besondere Rolle spielen. Die beiden Männer erweisen ihr die letzte Ehre und verstossen mit unerhörtem Verhalten bewusst gegen die muslimischen Gesetze. «Le bleu du caftan» ist ein stiller, sensibler Film, der von Blicken und leisen Gesten lebt. Maryam Touzani stellt sich dabei mit ihrem kunstvollen Werk mutig einem Tabu entgegen: In Marokko ist Homosexualität verboten.

Le bleu du caftan
Regie: Maryam Touzani
F/MA/BE/DK 2022, 122 Minuten
Ab Do, 9.3., im Kino