In der ergreifenden Schlussszene begegnen sich die Mutter Rose (Annabelle Lengronne) und ihr jüngster Sohn Ernest (Ahmed Sylla) nach Jahren wieder. Ernest, der es als kleiner Junge in der Schule nicht einfach hatte, ist inzwischen Philosophielehrer. Rose übergibt ihm einen Brief. Geschrieben hat ihn der grosse Bruder Jean (Stéphane Bak), der nach Afrika verschwunden ist.

Jean war lange Ersatzvater und Vorbild für den kleinen Bruder und die grosse Hoffnung seiner Mutter – nun ist er auf die schiefe Bahn geraten. Am Anfang sind die Brüder 5 und 10 Jahre alt, im weiteren Verlauf des Films sieht man sie als 13- und 19-Jährige und schliesslich als Erwachsene. Es beginnt alles Ende der 1980er, als die Alleinerziehende Rose mit zwei ihrer vier Kinder von Abidjan in der Elfenbeinküste nach Paris kommt.

Rose arbeitet und nimmt sich neue Freiheiten in Beziehungen. Sie trinkt und raucht. Die Geschichte handelt von Immigration und Integration, von einem besseren Leben, das man fern der Heimat finden will, von Familie, Hoffnungen und Illusionen, von grossen Erwartungen, von Liebe und Rassismus. Diese Themen greift Léonor Serraille («Jeune femme») in einer unspektakulären Alltagschronik mit den drei Figuren einer Familie im Zentrum auf – als Dreh- und Angelpunkt Mutter Rose, der Annabelle Lengronne ein denkwürdiges schauspielerisches Profil gibt.

Un petit frère
Regie: Léonor Serraille F 2022, 116 Minuten
Ab Do, 22.6., im Kino