In ihrem Dachzimmer im ­Quartier Latin brauchte Ulrike Ottinger keine Uhr. Die Marktfahrer, Stras­senmusikanten und die Kakofonie aus Stadtgeräuschen sagten ihr die Zeit stets zuverlässig an. Gerade einmal 20-jährig war die Deutsche, als sie 1962 nach Paris zog, um Künstlerin zu werden. In ihrem Dokfilm «Paris Calligrammes» lässt die Malerin und Filmemacherin diese Zeit Revue passieren. Mal poetisch, mal dokumentarisch nüchtern zeigt sie die Welt der Künstler und Intellektuellen. Aber eben auch jene der Studentenrevolte und des Massakers an algerischen Demonstranten. Ulrike Ottingers Ton wandelt sich: Sie ist ironische Erzählerin ihrer Wanderjahre durch die Ateliers etablierter Kollegen und zurückhaltende Berichterstatterin gesellschaftlicher Spannungen. «Paris Calli­grammes» ist ein wunderbarer Einblick in Ottingers Werdegang als Künstlerin und eine dichte Reise in eine Zeit, in der die Bohème noch in den Cafés debattierte. Bei einer einzigen Tasse Kaffee – für mehr reichte das Geld nicht.

Paris Calligrammes 
Regie: Ulrike Ottinger 
D 2019, 129 Minuten 
Mo, 14.6., 22.25 3sat