Ein Schnitt mit einer Glasscherbe in einer Berliner Küche, und die Erinnerungen sind zurück: All die pubertären Ausbrüche ­eines Sechzehnjährigen, die Selbstverstümmelung mit einem Rasiermesser, die verwirrenden Gefühle zur gleichaltrigen Cousine Adalina, ihr Unfall auf dem Motorrad eines Konkurrenten – ihr Tod. Nie hat der inzwischen fast 40-jährige Illustrator Johannes Maculin seine Schuldgefühle überwunden. Immer noch fühlt er sich verantwortlich für Adalinas Tod, da er ihr damals aus ­Eifersucht seinen Motorradhelm verweigert hat. «Ein Gespenst aus der Vergangenheit, stumm und vorwurfsvoll.» So erscheint sie ihm in seiner Gegenwart in Berlin. Nun treibt es Johannes zurück in seine Heimat nach Chur, dorthin, wo alles geschah. Doch die Rückkehr wird keine Läuterung; die Vergangenheit holt ihn mit solcher Wucht ein, dass er sich ihr nicht mehr entziehen kann.

Der Churer Schriftsteller Silvio Huonder verwischt in seinem ersten Roman von 1997 mit Leichtigkeit die Zeitebenen, ein Ereignis aus der Gegenwart wird zur Erinnerung aus der Ver­gangenheit. Atmosphärisch beschreibt er die 60er- und 70er-Jahre in der Kleinstadt, wo die Enge der umgebenden Berge den damals beengenden Verhältnissen entspricht. Vor allem aber beschreibt er mit viel Poesie eine zarte Liebesgeschichte, die sich verbotenerweise zwischen Johannes und seiner Cousine Adalina anbahnt.

Seine Heimat Graubünden ­ist in den Werken von Silvio Huonder, der seit über 20 Jahren in Berlin lebt, ein wiederkehrendes Thema. So auch im neuen historischen Roman «Die Dunkelheit in den Bergen», der im Theater Chur in einer vom Autor dramatisierten Fassung zu sehen ist.   

Silvio Huonder
«Adalina»
240 Seiten
Erstausgabe: 1997
Heute erhältlich bei Nagel & Kimche.