Was für ein umwerfend schöner Mann. «Seine Augen … seine Gesichtszüge … diese Eleganz … Arma war hin und weg.» Die albanische Hausangestellte hat soeben den russischstämmigen Aufsteiger Lew Lewowitsch zum ersten Mal gesehen und kann es kaum fassen. Diesem Mann fliegen die Frauenherzen zu wie den Frühlingsblumen die Bienen. So hat sich auch die «schöne Anastasia» in ihn verliebt, die leider verheiratet ist: ausgerechnet mit dem Scheusal Macaire Ebezner, der auf der gleichen Chefetage einer Genfer Bank arbeitet wie ihr Geliebter.

Das ist eine der unzähligen Verwicklungen in Joël Dickers Roman «Das Geheimnis von Zimmer 622», in dessen Mittelpunkt ein ungeklärter Mord in einem Walliser Luxushotel steht. Dicker führt die Leserschaft mit dieser Geschichte erstmals in die gesellschaftlichen Geheimnisse seiner Heimatstadt Genf ein. Der Autor ist ein begnadeter Erzähler. Er entwickelt in diesem Märchen schier unzählige Erzählstränge, die er miteinander verknüpft, meist raffiniert, manchmal vorhersehbar. Neben der Bankenwelt entführt er ins Geheimdienstmilieu oder ins Dickicht des organisierten Verbrechens. Er zeichnet köstliche Karikaturen von seinen Protagonisten wie etwa der russischen Hochstaplerin Olga, die als be­gnadete Kupplerin ihrer Töchter auftritt – eine von ihnen ist Anastasia, die Sex noch mehr liebt als Geld. Dicker lässt kein Klischee aus, er konstruiert die unwahrscheinlichsten Zufälle und setzt laufend Cliffhanger, damit sich ja keiner langweilt – beste Unterhaltung.   

Joël Dicker
Das Geheimnis von Zimmer 622
Aus dem Franz. von Michaela Messner, Amelie Thoma
617 S. (Piper 2021)