Es ist eine Premiere innerhalb einer Premiere. Zum ersten Mal choreografiert ein schwarzer Südafrikaner beim Ballett Zürich, dazu ein Newcomer, dessen Erfolgskurve steil nach oben zeigt: Mthuthuzeli November macht mit eigenwilligen, energetisch hoch aufgeladenen Arbeiten in der Tanzszene seit Längerem auf sich aufmerksam. Seine afrikanische Herkunft fliesst unübersehund -hörbar in seine Stücke ein. November hat in seinem künstlerischen Portfolio schon einiges vorzuweisen, etwa den renommierten Laurence Olivier Award.

Bislang tanzte und choreografierte er vor allem in Südafrika und England. Jetzt hat ihn Cathy Marston, die künstlerische Leiterin des Balletts Zürich, eingeladen, innerhalb des dreiteiligen Abends «Timekeepers» die «Rhapsody in Blue» von George Gershwin zu choreografieren.

In der Regel schreibt er die Musik selbst

Die beiden anderen Werke des neuen Ballettabends stammen ebenfalls aus den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts, aus den «Roaring Twenties», als Aufbruchstimmung und kühner Erfindungsgeist herrschten. Da ist zum einen das Schlüsselwerk «Les Noces» von Igor Strawinsky. Das Stück wird in der originalen Choreografie von Bronislawa Nijinska, der Schwester des berühmten Vaslav Nijinski, aufgeführt.

Zum anderen kommt die überarbeitete Musik «Ballet Mécanique» von George Antheil auf die Bühne des Opernhauses Zürich. Meryl Tankard, die Grande Dame unter den australischen Choreografinnen, kreiert dazu eine Choreografie für das Ballett Zürich. November hat sich mit der 15-minütigen «Rhapsody in Blue» anfangs eher schwergetan, wie er im Gespräch erzählt. «Es ist keine Musik, die mich gleich packt und bei der ich denke, darauf möchte ich choreografieren.»

In der Regel schreibt er die Musik seiner Stücke selber. Eine kleine Freiheit hat er sich immerhin erlaubt. An einer bestimmten Stelle wird die Rhapsodie unterbrochen, und es erklingen von November gesampelte afrikanische Melodien. Dazu schlagen die Tänzerinnen mit Stäbchen gegen Holzpfosten und klacken mit ihren Spitzenschuhen auf den Boden. Dass die 25 Tänzerinnen und Tänzer Spass dabei haben, ist in der Probe offensichtlich. «Für mich war nicht wichtig, was Gershwin mit seiner Komposition damals bezweckte», sagt der Choreograf.

Mit der «Rhapsody in Blue», exakt vor 100 Jahren erstmals aufgeführt, wollte der US-amerikanische Komponist ein musikalisches Kaleidoskop für die Neue Welt schaffen. «Mich interessierte der Übertitel ‹Timekeepers›, die zeitliche Dimension», so November. «Heute choreografiere ich als Südafrikaner am Opernhaus Zürich, das ist ein Versprechen für die Zukunft, das hat etwas Visionäres.»

In einer kleinen Township gross geworden

Mthuthuzeli November ist in einer kleinen Township bei Kapstadt in ärmlichen Verhältnissen geboren. Als kleiner Junge spielte er leidenschaftlich Fussball, tanzte aber auch von Kindsbeinen an traditionellen afrikanischen Tanz und Streetdance. «Alle in der Familie tanzten, auch die Nachbarn», erzählt November, «aber mein Bruder und ich nahmen den Tanz ernst und traten an lokalen Wettbewerben an, wo wir unsere Township repräsentierten».

Zum Ballett kam er über ein Community-Projekt einer englischen Tanzlehrerin. Ihr schwebte im Unterricht eine Fusion von lokalem Tanz und Ballett vor. So erreichte sie die Jugendlichen, auf die Ballett pur zu fremdartig gewirkt hätte. «Das prägt mich bis heute, dass ich diese neue Kunstform in enger Verbindung zum afrikanischen Tanz lernen konnte», sagt der Choreograf.

Als er sich in der Tanzschule vorstellte und seinen Namen Mthuthu (aus der Xhosa-­Sprache) nannte, konnte die Lehrerin diesen Namen nicht richtig aussprechen und nannte ihn «Tutu», so wie das kurze Röckchen im klassischen Ballett. Ihre spontane Reaktion darauf war, wie November amüsiert erzählt: «Du bist dazu bestimmt, Balletttänzer zu werden.» Eine «Prophezeiung», die sich erfüllte.

Alle Kunst vom Leben inspiriert

Mthuthuzeli Novembers südafrikanisches Erbe zeigt sich auch in der Art, wie er mit seinen Tänzerinnen und Tänzern arbeitet, warmherzig und respektvoll. Seine Fühler hat er in der Probe weit ausgestreckt, nichts entgeht seiner Aufmerksamkeit. Die Mitglieder des Balletts Zürich sind für ihn erst einmal Individuen und Persönlichkeiten. Bevor die Probe startet, setzt er sich mit ihnen zusammen und will wissen, wie es ihnen geht.

Es wird herumgealbert und sogar laut und ausgelassen gespielt. Das entspringt der Grundüberzeugung Novembers, dass alle Kunst vom Leben inspiriert sei. Im Gespräch zeigt sich der junge Südafrikaner reflektiert und selbstkritisch. Bei den vorbereitenden Gesprächen zum neuen Projekt in Zürich habe er festgestellt, dass er automatisch vermeintlich nötige Anpassungen an die Institution gemacht habe. Doch er müsse sein ganz Eigenes einbringen, sagt November.

Leicht sei das nicht, er habe ja keine Vorbilder. Und so geht es im neuen Stück des Südafrikaners auch um Identität, um das Vertrauen in die eigenen künstlerischen Ideen. Wenn November im Probenraum loslegt, lässt er alle Zweifel bleiben und arbeitet intuitiv aus dem Stand heraus: «Ich möchte so offen wie möglich sein», sagt der Choreograf, «und in jedem Moment auf die Tänzer reagieren können». Wenn man ihm bei der Arbeit zusieht, ist man hingerissen von der Energie und den choreografischen Einfällen.

Die Arme der Frauen flattern wie die Flügel von Vögeln, schnell und abrupt wechseln die Bewegungen. Und immer wieder suchen die Tänzer den Boden, um gleich darauf, mit ausladenden Gesten, einen kühnen Sprung zu wagen. Unübersehbar ist in dieser Probe: Die Zusammenarbeit zwischen Choreograf und Tänzerinnen läuft wie am Schnürchen, hoch konzentriert, aber entspannt.

Timekeepers
Premiere: Sa, 20.1., 19.00
Opernhaus Zürich