Die knapp 15-jährige Alison wird um ein Haar von einem Vergewaltiger und Mörder entführt. Wäre da nicht der schlaksige Nachbarsjunge Kyle, eigentlich ein Versager. Er eilt ihr zu Hilfe und schlägt den ­bewaffneten Mann zu Boden. Dieser «Sprung zum Sieg» wird aber bei George Saunders nicht etwa zur Heldentat stilisiert. Kyle haut dem Täter mit einem Stein derart auf den Schädel, dass dieser richtiggehend gespalten wird. Alison leidet deswegen noch Monate später unter Albträumen.

Existenzielle Fragen

Ein moralischer Faden zieht sich durch alle Geschichten – bei Saunders aber stets mit Humor. So fleht eine besorgte Mutter in der Erzählung «Welpe» beispielsweise ihre Kinder beim Abholen eines Welpens innerlich an, sie sollten in dem verwahrlosten Messiehaushalt ja nichts anfassen. Das denkt sie nur still für sich, denn: «Die Kinder sollten miterleben, wie demokratisch und offen sie war, und nachher konnten sie sich alle in dem halb umgebauten McDonald’s gründlich die Hände waschen.»

Die Protagonisten sind ständig mit existenziellen Fragen konfrontiert, etwa: Was ist Liebe? «Liebe ist, wenn man jemanden so mag, wie er ist, und ihm hilft, noch besser zu werden», lässt Saunders die Figur Callie in der Geschichte «Welpe» sagen. Doch was ist der Unterschied zwischen Liebe, Verliebtsein und Begehren?

Mit den Geschichten taucht der Leser in das US-amerika­nische Alltagsleben ein. Dem Schriftsteller gelingt es, das Lebensgefühl der Unter- und Mittelschicht authentisch zu spiegeln.    

George Saunders 
«Zehnter September» 
272 Seiten
(Luchterhand 2014).