Auch Steine haben Gesichter, man muss bloss genau hinschauen. Und Elene Chantladze schaute immer genau hin. Als junge Frau sammelte die Georgierin an der Schwarzmeerküste Kiesel und bemalte sie. Erhebungen wurden zu Nasen, Dellen zu Mündern. Auf Steine malt Chantladze schon lange nicht mehr. Aber das Gespür, die Sujets aus dem Bildträger herauszulesen, besitzt sie noch immer. Elene Chantladze war bereits 66-jährig, als sie 2012 per Zufall auf einer kleinen Ausstellung in ihrem Wohnort Tskaltubo entdeckt wurde.

Seither waren ihre Bilder schon in Wien, London und New York zu sehen. Nun erhält sie unter dem Titel «As in a Melody or a Bird’s Nest» in der Kunsthalle Zürich ihre erste institutionelle Einzelausstellung in der Schweiz. Die Kunst der heute 77-Jährigen fasziniert durch Unmittelbarkeit und Rohheit. Im Kurort Tskaltubo arbeitete Chantladze für verschiedene Sanatorien.

Lange konnte sie sich keine Malutensilien leisten. Also nutzte sie für ihre Kunst, was immer sie in die Hände bekam: Kartons und Kalenderblätter, Kaffee und Farben, die sie aus Beeren und Pflanzen gewann. Erst später kamen Kugelschreiber und Gouache-Farben hinzu.

Breites Repertoire an Techniken

Ihr ungezwungener Umgang mit Materialien spiegelt sich im assoziativen Malvorgang. Chantladze versieht den Bildträger zunächst mit einem schlierigen Hintergrund. Von diesen Strukturen lässt sie sich zu Figuren und Landschaften inspirieren, die sie dann zeichnet, malt oder einritzt. Mal entstehen so märchenhafte Szenen aus der georgischen Folklore oder ihrer Kindheit auf dem Land.

Mal sind es expressive, fast albtraumhafte Ansammlungen verschachtelter Gesichter. Mal sind es dicht gemalte, abstrakte Naturbilder. Die Beziehung des Menschen zur Natur und zu seinesgleichen taucht in Chantladzes Kunst immer wieder auf, bisweilen auch auf politische Art. Ihre Gemälde über den Kaukasuskrieg von 2008 zeigen Kugelschreiberfiguren, die im Tumult aus grober Farbe verloren gehen. Berührend sind auch jene Bilder, in denen sie sich an Zweckehen und anderen Auswüchsen des Patriarchats abarbeitet.

Die Künstlerin selber wäre als junge Frau fast Opfer eines Brautraubs geworden. Heute malt sie unglückliche Paare in stillen Zimmern. Die Szenerie wellt sich mit dem farbgesättigten Karton, auf den sie gemalt wurde – als falte sich der Raum langsam zusammen. Als fehle einer Welt ohne Liebe die Kraft, sich aufrecht zu halten.

Elene Chantladze – As in a
Melody or a Bird’s Nest

Sa, 7.10.–So, 21.1.
Kunsthalle Zürich