Ist der Mensch grundsätzlich gut oder böse? Dies fragt sich Germanist Jakob Fabian, der im Berlin der späten 1920er-Jahre als Werbetexter arbeitet. Seine Erkenntnis ist ernüchternd, beobachtet er doch mit zunehmender Beunruhigung einen allgemeinen gesellschaftlichen Zerfall. Zu schaffen machen ihm nicht nur die moralischen Pöbeleien und kriminellen Übergriffe der aufstrebenden Nationalsozialisten, sondern auch der so krankhafte wie hedonistisch geprägte Ehrgeiz seiner Geliebten Cornelia. Als sich sein Freund Labude, der die grassierende Entmenschlichung nicht mehr erträgt, umbringt, wird aus dem moralischen Idealisten Fabian ein zerknirschter Realist.

Erich Kästner, der humorvolle Klassiker für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie Kabarettprogramme und Drehbücher schrieb, packte diese dramatische «Geschichte eines Moralisten», so der Untertitel, in ­einen ­Grossstadtroman mit ­ironisch-satirischem Unterton. Den moralischen Verfall siedelte er auch in unmittelbarer Umgebung seines Protagonisten an: Dr. Fabian bewegt sich gerne in der Bohème und der Unterwelt des «roaring» Berlin, wo es zu allerlei Ausschweifungen kommt. Diese «pornografischen» Passagen nahmen die Nazis 1933 zum Anlass, Kästners Werke als entartet zu taxieren und sie der Bücherverbrennung zu übergeben.

Dabei hatte Kästner für die Erstausgabe des «Fabian» 1931 bei der Deutschen Verlagsanstalt bereits Zugeständnisse gemacht. Ein vom Verlag als zu heikel, weil  freizügig befundenes Kapitel wurde gestrichen. Zudem musste der Originaltitel «Der Gang vor die Hunde» dem neutralen «Fabian» weichen. Erst letztes Jahr ist die ungekürzte und original betitelte Fassung erstmals beim Zürcher Atrium Verlag erschienen. Am 29. Juli jährt sich Erich Kästners Todestag zum 40. Mal.

Erich Kästner
«Fabian»
Erstausgabe: 1931
Heute erhältlich in der Originalfassung «Der Gang vor die Hunde» im Atrium Verlag.