«Sein Blut rauschte wie der Bildschirm nach Sendeschluss. Die Hände fühlten sich so schwer wie Hanteln an …» So entfaltet die Droge Methaqualon ihre Wirkung im Körper von Patrick Melrose, verstärkt durch einen anständigen Schluck aus der Whiskyflasche. Auf diese Weise feierte der Drogenabhängige den Tod seines Vaters in New York. Patrick Melrose musste dort die Urne abholen und nach England ins Familiengrab bringen.
Das ist eine Schlüsselepisode des fünfteiligen Romanzyklus «Melrose», die der englische Adlige Edward St Aubyn über sein Leben geschrieben hat. Das Schweizer Fernsehen strahlt die TV-Version nun als Serie aus – mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle.
«Das Schreiben war für mich eine Therapie»
Der Sohn konnte dem Vater nie vergeben. In einem persönlichen Gespräch bekannte der heute 59-jährige St Aubyn Ende der 90er-Jahre: «Er war kein sehr angenehmer Mensch.» Eine Untertreibung sondergleichen, denn der Verstorbene vergewaltigte den fünfjährigen Edward regelmässig – und schlug ihn bei Gelegenheit windelweich. Er sah in dieser aussergewöhnlichen Form der Beziehungspflege eine Absage an die bürgerliche Spiessigkeit des Mittelstandes, die ihm ein Grauen war.
Von der Mutter konnte der Kleine keine Hilfe erwarten; sie lebte ihrerseits in ständiger Angst vor dem Mann, der lebende europäische Geschichte war. Denn sein Stammbaum bezeugt, dass die Vorfahren mit dem normannischen Wilhelm dem Eroberer von der Normandie auszogen, um sich England untertan zu machen. Ihre Tapferkeit wurde mit grossen Ländereien in Cornwall belohnt, die der Familie zum Teil heute noch gehören.
«Ich musste über das Unaussprechliche schreiben», sagte St Aubyn beim Interview in seinem Appartement: «Wenn ich das nicht hätte tun können, wären meine Romane überflüssig.» Der Autor wehrt sich zwar dagegen, dass die Geschichte in allen Teilen autobiografisch sei. Aber er sagt auch: «Das Schreiben war für mich eine Therapie.» Eine neben vielen anderen, denn er musste sich wegen seiner Suchtanfälligkeit immer wieder behandeln lassen.
Trotz Erfolg nicht wirklich glücklich
Während des Gesprächs gähnte St Aubyn immer wieder: «Ich schlafe schlecht.» Kein Zweifel, das Schreiben machte ihn nicht viel glücklicher, obgleich seine Bücher zumindest in Grossbritannien zu einem Riesenerfolg wurden. St Aubyn schaffte es sogar auf die Shortlist des renommierten Booker-Preises, den er dann allerdings nicht gewann. Im Leben jedoch findet er sich nicht ganz zurecht – trotz der materiellen Privilegien seiner Geburt.
TV
Patrick Melrose
Regie: Edward Berger
GB/USA 2018
1–5/5: Mo, 9.9.–Fr, 13.9.
täglich jew. 22.55 SRF zwei
Abrufbar (während 30 Tagen nach der Ausstrahlung): www.srf.ch/play/tv
Bücher von Edward St Aubyn
Erster Roman
Schöne Verhältnisse
193 Seiten
Deutsche Erstausgabe: 2007
(Du Mont 2007)
Alle fünf Romane in einer Ausgabe
Melrose
880 S., Übersetzung: Dirk van Gunsteren, Ingo Herzke, Sabine Hübner, Frank Wegner
(Piper 2016)