«Ich versuche, Ordnung in mein Leben zu bringen», sagt Claudine (Jeanne Balibar), aber zu diesem Zeitpunkt ist es natürlich längst vorbei mit der inneren Regelhaftigkeit. Die 50-jährige Schneiderin gibt jeden Dienstag ihren behinderten Sohn (Pierre-Antoine Dubey) bei der Nachbarin zur Betreuung ab und fährt dann im weissen Kleid und mit braunen Stiefeletten in ein Berghotel am Fusse des Grande-DixenceStaudamms.
Dort bekommt sie von einem Mitarbeiter Informationen über die anwesenden Männer – vorzugsweise einsame Durchreisende, mit denen sie sich zu One-Night-Stands trifft. «Laissez-moi», das Spielfilmdebüt des Genfer Regisseurs Maxime Rappaz, könnte zunächst als anrüchige Ausbruchfantasie durchgehen. Die Bilder zeigen aber etwas anderes: Wenn Claudine in die Berge fährt, wird sie von einer märchenhaften Aura umweht.
Ihr Doppelleben spiegelt sich flirrend in der Landschaft, und wir sehen eine sich aufopfernde Mutter, die dem Alltag zu entfliehen sucht. Als Claudine dem Hydroelektrik-Spezialisten Michael (Thomas Sarbacher) begegnet, möchte der jedoch nicht mehr von ihrer Seite weichen.
Schmerzhaft und ergreifend zugleich
Ist «Laissez-moi» also eine Liebesgeschichte um zwei Menschen um die 50? Nicht ganz. Was Rappaz mit bestechender Symbolik ausbreitet, ist die Emanzipationsgeschichte einer Frau, die ihr bisheriges Wesen abstreifen will. Dieser Prozess – von der französischen CésarPreisträgerin Jeanne Balibar meisterhaft verkörpert – ist schmerzhaft und ergreifend zugleich.
Vor allem aber besticht «Laissez-moi» mit präzisen Tableaus (Kamera: Benoît Dervaux), die all das erzählen, worüber man nicht sprechen kann. Kein Zufall, dass dieses Schweizer Debüt auf Anhieb in einer Nachwuchssektion des renommierten Filmfestivals in Cannes Premiere feierte.
Laissez-moi
Regie: Maxime Rappaz
CH/F/Belgien 2023, 93 Minuten
Ab Do, 14.3., im Kino