Er ist bekannt für seine Rollen in «Schindlers Liste» (1994) oder «Der englische Patient» (1997). Für beide erhielt Ralph Fiennes eine Oscarnomination. Er war zudem Lord Voldemort in den «Harry Potter»-Filmen, und seit 2012 verkörpert er MI6-Chef M in den James-Bond-Filmen.
Am Zurich Film Festival macht sich der 61-jährige Brite jedoch rar. Gerade mal elf Minuten Interviewzeit werden uns gewährt. Immerhin: Beim Treffen im Baur au Lac verströmt Fiennes Gelassenheit, und von seiner angeblichen Aversion gegen Journalisten ist nichts zu spüren. Der Star ist die britische Höflichkeit in Person.
kulturtipp: Ralph Fiennes, «Conclave» beginnt mit einem Blick auf Ihren Hinterkopf. Eine eher ungewöhnliche Einstellung …
Ralph Fiennes: Nicht unbedingt. Andere Regisseure haben das auch schon gemacht – inklusive ich, wenn ich Regie führte.
Was zeigt uns eine solche Szene?
Das Publikum soll sich fragen, was im Kopf der betreffenden Figur vorgeht, was sie bewegt. Die Perspektive wirkt rätselhaft und kreiert eine gewisse Spannung.
Viel Spannung und Druck ist auch Kardinal Lawrence ausgeliefert, den Sie im Film verkörpern. Manchmal erscheint er fast wie ein Lehrer, der eine Bande von Teenagern im Zaum halten soll …
Ein guter Vergleich! Zunächst mal ist Lawrence ein zurückhaltender Mensch, und wir erfahren, dass er zu Lebzeiten des Papstes von seinem Amt zurücktreten wollte. Der Papst lehnte jedoch ab und bestimmte: Du wirst der Manager sein, der das Konklave leitet, wenn ich mal nicht mehr bin. Für Lawrence ist das ernüchternd, da nur seine bürokratischen Fähigkeiten erkannt werden.
Welche Erfahrungen macht Lawrence bei der Papstwahl?
Er lernt viel über diese Männer und muss erkennen, dass er wenig bis nichts über deren nackten Ehrgeiz wusste. «Conclave» zeigt keine Heiligen, sondern Priester, die mit ihrem Menschsein ringen.
Sie bereiten sich jeweils minutiös auf Ihre Rollen vor. Lord Voldemort in den «Harry Potter»-Filmen spielten Sie mit schlangengleichen Bewegungen. Wie sind Sie im Fall von Lawrence vorgegangen?
Es ist für mich nicht leicht, über Vorbereitungen zu sprechen. Für «Conclave» habe ich mit Priestern und mit einem Kardinal gesprochen sowie religiöse Texte gelesen. Es ging dabei vor allem um die Philosophie des Glaubens, also zum Beispiel, wie die Lehren von Jesus übersetzt und interpretiert wurden. Das faszinierte mich, und ich erkannte Lawrences eigentliches Dilemma: Er würde am liebsten in ein Kloster gehen, um zu studieren. Stattdessen muss er das Konklave leiten und mit diesen unterschiedlichen Egos klarkommen.
Haben Sie während eines Filmdrehs wie diesem manchmal das Gefühl, dass Sie die Rolle geknackt haben?
Nein. Es gibt vielleicht Tage, wenn Close-ups gedreht werden, an denen man als Darsteller ahnt, dass diese Szenen wichtig sein könnten. Da will ich dann richtig gut sein. Aber du kannst noch so sehr versuchen, tiefer zu gehen oder präsenter zu sein, du weisst nie, wie es schliesslich im Film aussehen wird. Natürlich schaue ich am Set oft zum Regisseur rüber, und wenn der dann diesen speziellen Blick darauf hat, verrät mir das: Ja, diese Szene hat gepasst! Ein grossartiges Gefühl. Aber oft sagt der Regisseur auch nur: Ja, wir nehmen diesen Take. Und ich frage mich: War da nicht ein leichter Zweifel in seiner Stimme? Man kann sich nie sicher sein.
Ihre Mutter hat sich sehr für den Katholizismus engagiert. Inwiefern konnten Sie von Ihrem familiären Umfeld für diese Rolle profitieren?
Stimmt. Meine Mutter hatte sich dem Katholizismus verschrieben. Aber dann traf sie einmal diesen lokalen Priester, den sie herausforderte mit der Frage, warum die Messe einmal pro Woche in Latein abgehalten werden müsse. Ihre Sorge war: Wie kriegt man jüngere Menschen in die Kirche? Statt zu antworten, fühlte sich der Priester jedoch angegriffen. Meine Mutter war schockiert. Dennoch verlor sie nie ihren Glauben. Wir hatten viele Gespräche über Gott am Familientisch.
Auch über Zweifel kontra Gewissheit, wie Sie es im Film einmal formulieren?
Ja. Zweifel gehört zum Glauben. Das ist gesund. Gewissheit dagegen ist erschreckend. Wir wissen, was Regierungen anrichten können, die nichts hinterfragen. Das gilt auch für religiöse Führungsfiguren.
Und für Schauspieler?
Wir haben keinerlei Gewissheiten. Es sind Versuche und Angebote, die wir machen. Und wir stellen Fragen. Auch im Theater: Da ist jeder Abend eine neue Forschungsreise.
Macht es einen Unterschied, ob Sie einen Good Guy oder einen Bad Guy spielen?
Nein. Die Frage muss immer sein: Wer ist dieser Mensch? Wie denkt er? Wie spricht er? Und wie bewegt er sich?
Sie sprechen in «Conclave» auch Lateinisch und Italienisch. Wie schwierig war das?
Sagen wir so: Ich war mit Hausaufgaben eingedeckt. Italienisch konnte ich bereits ein paar Brocken, Latein war dann nochmal eine Stufe schwieriger. Aber ich hatte zum Glück einen wunderbaren Sprachcoach.
Conclave
Regie: Edward Berger
UK/USA 2024, 120 Minuten
Ab Do, 28.11., im Kino
Wenn die Papstsuche eskaliert
Als Erstes sieht man auf seinen Hinterkopf, dazu ertönt dramatische Streichermusik. Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes) eilt durch die Strassen Roms in Richtung Vatikan, denn vor wenigen Stunden ist der Papst gestorben, und dieser hatte verfügt, dass Lawrence die neue Papstsuche – das Konklave – leiten soll.
Im Film von Edward Berger («Im Westen nichts Neues») findet sich die Hauptfigur also erstmal als Manager wieder – und das behagt ihm keineswegs. Lawrence muss zudem vorsichtig vorgehen, weil es unter den angereisten katholischen Würdenträgern sowohl liberale als auch konservative Geister gibt.
Die Folge: Je länger das Wahlprozedere dauert, desto erbitterter wird nach Fehlern oder Vergehen der favorisierten Kandidaten gesucht. Oder wie es der Lawrence wohlgesinnte Kardinal Bellini (Stanley Tucci) formuliert: «Das ist kein Konklave, das ist ein Krieg.»
Filme über den Papst und die katholische Kirche gab es in jüngster Vergangenheit öfter. «Conclave» hat jedoch das Potenzial zum Klassiker, weil man sich den thrillerartigen Zuspitzungen von Edward Berger nicht entziehen kann.
Der deutsch-schweizerische Regisseur setzt in der Romanadaption von Robert Harris von Anfang an einen dezidiert nervösen Ton und konterkariert das intrigante Geschehen mit einer bis fast zum Kollaps um Fassung bemühten Hauptfigur.
Fiennes verkörpert in «Conclave» eine seiner kraftvollsten und zugleich unterdrücktesten Figuren. In einer Ansprache ermuntert er die anwesenden Kardinäle zu mehr Zweifel und weniger Gewissheit. Nur so seien Toleranz und echter Glaube möglich. Es ist eine Rede, die einem durch Mark und Bein geht.