Ein Klimawandel-Leugner und ein grüner Aktivist, japanische Touristinnen in Sandalen und Vollblut-Bergler, Besserwisser und Zupackerinnen: Die Gegensätze der zehn Menschen, die in der Gastwirtschaft «Berghau» aufeinandertreffen, könnten nicht grösser sein. Sie alle, inklusive ein zugelaufener Hund, suchen einen sicheren Unterschlupf nach einem Felssturz, der die Wege ins Tal abgeschnitten hat: «Die kleine Holzterrasse konnte jederzeit abrutschen und in die Tiefe donnern, dann war das Haus so knapp am Abgrund wie ein Pantoffel auf der obersten Treppenstufe.»

Zwei Tage und zwei Nächte lang verbringen sie im Funkloch auf engstem Raum – und in der Ausnahmesituation brechen nach und nach verborgene Gefühle hervor. Nicht alle werden die Zeit bis zum Eintreffen des rettenden Helikopters überleben … Angelika Waldis schafft mit ihrem Roman eine spannungsgeladene Ausgangssituation. Abwechselnd leuchtet sie in die Köpfe der verschiedenen Eingeschlossenen und zeigt, welche Aggressionen, Ängste oder Sehnsüchte in ihnen brodeln, welche Gedanken zum Sinn des Lebens in dieser Notsituation aufkommen.

Die Romane und Erzählungen der bei Zürich lebenden 83-jährigen Autorin zeichnen sich stets durch Wortspiele und einen originellen Umgang mit der Sprache aus, wie es nun auch in «Berghau» spürbar wird. Und in der ganzen Tragik des Ausgeliefertseins scheint zuweilen auch Waldis’ leiser Humor durch. Etwa wenn Sepp erklärt, wie es zum Namen seines Gasthofs kam: «Eigentlich wollte er Berghaus Sepp über die Tür malen, aber dann stiessen zwei Ziegen die Farbdose um. Dann halt Berghau.» Die Warnung, dass diese in den Berg gehauene Hütte einst durch den auftauenden Permafrost abrutschen könnte, schlug Sepp damals allerdings fatalerweise in den Wind.

Lesung
Mo, 22.5., 19.00
Kellerbühne St. Gallen

Buch
Angelika Waldis - Berghau
176 Seiten (Atlantis 2023)