Obwohl sich James Baldwin (1924–1987) ausdrücklich als «poet» bezeichnete, wurde seiner Lyrik kaum je Beachtung geschenkt. Er hatte zeitlebens Gedichte verfasst, jedoch zunächst nur zur privaten Zirkulation. Veröffentlicht hatte er seine Lyrik erst 1983. Während die Aidsepidemie grassierte, hatte sein Band «Jimmy’s Blues», der schwule Liebesgedichte enthält, auch den Charakter eines Coming-outs.
Roher, dichter und direkter
Während seine offene Thematisierung von Queerness der Zeit voraus war, wies seine politische Rhetorik in die Zeit des Black-Power-Aktivismus zurück. Roher, dichter und direkter als in den Romanen artikulierte der Lyriker Baldwin seine Gesellschaftskritik.
Auf wenigen Seiten werden die rassistische, homophobe US-Gesellschaft mit ihrer heuchlerischen Moral und der brutale Staat mit seiner zynischen Ideologie vorgeführt.
Hauptstück ist das Langgedicht «Staggerlee wonders», das die Legende des schwarzen Gangsters in die 1980er-Jahre holt und diesen etwa Ronald Reagan und dessen Gemahlin deutlich die Meinung sagen lässt. Als Liebeslied an die Nation im Geiste des US-Dichters Walt Whitman beginnt «A Lover’s Question». Doch die Geliebte entpuppt sich als Prostituierte. «Du liebst mich nicht. / Ich seh es dir an.»
Nicht zufällig nennt sich James Baldwin im Titel der Sammlung «Jimmy’s Blues» selbst. Intime Gedichte wenden sich an Liebhaber, aber auch an befreundete Künstlerinnen. Der Sängerin und Bürgerrechtlerin Lena Horne etwa widmet er eine verspielte Variation auf die Musicalnummer «The Lady is a Tramp», in der weibliche Nonkonformität gefeiert wird.
James Baldwins Lyrik ist von der schwarzen Musiktradition von Blues, Jazz und Gospel getränkt und arbeitet mit griffigen Rhythmen und Wiederholungen. Der kniffligen Aufgabe, all dies ins Deutsche zu übertragen, hat sich der Übersetzer Christian Filips gestellt, der Baldwins lyrisches Werk zudem in einem lesenswerten Nachwort einordnet.
James Baldwin
Jimmy’s Blues
Aus dem Englischen von Christian Filips
216 Seiten
(Engeler 2024)