Arbeit gibt Halt und Sicherheit. Das mag stimmen für den Abteilleiter, der seit Jahren mit dem Nachtzug von Ost nach West fährt und von Süd nach Nord. Er sei kein Schaffner, betont er, sondern eben Abteilleiter. Und er berichtet voller Stolz von dieser «leitenden Stellung», die darin bestehe, in einem Zugabteil zu sitzen und die Reisenden anzuweisen, wie sie sitzen, liegen, schlafen sollen. «Meine Sehnsucht nach zu Hause ist erloschen», begründet er den Umstand, dass er seit seinem Stellenantritt im Abteil sitzt und niemals aufgestanden ist.
Sein Auftrag sei die stetige Dienstbereitschaft. «Diese Sicherheit ist, was mir Ruhe gibt», sagt er und weiss nicht mehr genau, ob sein Zug noch rollt oder längst auf einem Abstellgleis verrottet. Aus drei Protokollen dieser Art hat Jens Nielsen sein neues Hörspiel montiert, dem die Berlinerin Bettie I. Alfred auf eine radiofone Form gegeben hat. Eines der Protokolle spricht sie selbst. Jenes einer Angestellten, die endlich eine Stelle gefunden hat, diese aber am Tag ihres Stellenantritts nicht mehr findet.
Die Stadt hat sich verändert, das Haus ihrer Firma ist verschwunden. Oder eines der unzähligen Häuser, in denen Firmen logieren. Die Angestellte macht sich auf die Suche, was monatelang dauert. Sie altert, wird stetig kleiner und findet am Ende doch eine Art von Halt und Sicherheit. Ähnlich jener des Abteilleiters.
«Wir kommen uns mechanisch vor»
Längst abgedroschen klingende Begriffe aus der Arbeitswelt wie Entfremdung, Ausnutzung oder Optimierung fasst Jens Nielsen in neue, schauerliche Hörbilder. Seinen Text hat der 58-jährige Autor und Schauspieler aus Zürich in formaler Strenge niedergeschrieben, als rhythmisierte Monologe wie im klassischen Theater. Und doch läuft sein Triptychon zunehmend aus dem Ruder, was der Inszenierung von Bettie I. Alfred zuzuschreiben ist.
Und den Sounddesignern und Komponisten, die Stimmen verfremden, bedrohliche Soundwolken platzieren sowie Spieldosenmusik, die das Hörspiel in die Nähe eines Marionettentheaters rückt. Denn wie singen die drei Figuren (Thomas Sarbacher, Lara Sienczak und Bettie I. Alfred)? «Wir kommen uns mechanisch vor. Man zieht uns früh am Morgen auf.» Nielsen ist eine hörbildreiche Mischung aus kafkaesk skurrilem Thriller und ratterndem Moritatenstück gelungen, die bei genauem Hinhören so absonderlich gar nicht ist.
Ihre Stelle ist gesichert
Regie: Susanne Janson, Henri Hüster, Bettie I. Alfred
Sa, 23.3., 20.00 SRF 2 Kultur
Hörspiel/Gespräch
Mit Autor Jens Nielsen und Regissseurin Susanne Janson
Mo, 15.4., 19.00
Sogar Theater Zürich