Die Vergangenheit holt in Bernhard Schlinks Geschichten alle ein: Etwa den namenlosen Jungen in der Erzählung «Das Mädchen mit der Eidechse», der fasziniert ist von einem Gemälde in seinem Elternhaus. Es zeigt ein Mädchen, das an einem Felsen lehnt und gedankenverloren eine Eidechse anblickt – das Bild hat ihn zu manchen romantischen Träumereien inspiriert. Erst viele Jahre später erfährt er, dass sein Vater sich während des Nationalsozialismus am Besitz verurteilter Juden bereichert hat und auf diese Weise zum wertvollen Gemälde gekommen ist. Nach dieser Entdeckung wird ihm auch klar, warum die Beziehung seiner Eltern stets so lieblos gewesen ist.

Bernhard Schlink erzählt in seiner typisch kühlen, kargen Sprache von unerhörten Begebenheiten, von der Last und der Lust der Liebe, von Lebenslügen – und von prägenden Erfahrungen in der Vergangenheit. Seine Geschichten bestechen weniger durch die nüchterne Sprache, aber sie vermögen die Leser mit ihrer Lebensnähe zu fesseln.

Am 6. Juli hat der Schriftsteller, dessen Roman «Der Vorleser» 1995 zum Welterfolg wurde, seinen 70. Geburtstag gefeiert. Und der dichtende Jurist bleibt produktiv: Ende August erscheint sein neuer Roman «Die Frau auf der Treppe». Auch hier steht ein berühmtes Bild im Mittelpunkt: Die Frau auf dem Bild hatte einst drei Männer um den Verstand gebracht. Als das Gemälde Jahrzehnte nach seinem Verschwinden wieder auftaucht, löst es vergangene Gefühle aus.

Bernhard Schlink
«Liebesfluchten»
Erstausgabe: 2000
Heute erhältlich in 
einer Sonderausgabe bei Diogenes.