Noch vor der Eröffnung erschien die Elbphilharmonie in Hamburg vielen schon als legendär. Ihre überwältigende Akustik hat allerdings Tücken.
Der Hamburg-Marketing- Chef hätte ob der Worte vor Freude einen Salto gemacht. Als die Elbphilharmonie am ersten von zwei Eröffnungsabenden zu funkeln begann, flüsterte eine am Quai stehende Hamburgerin euphorisch entrückt: «Elphi singt!» Denn jeder optische Reiz der Lichtshow auf der Fassade war abgestimmt auf einen akustischen Reiz des Orchesters.
Der Bau der Basler Architekten Herzog & de Meuron – die 82 Meter lange Rolltreppe, die monumentalen Fenster, der turmartige Konzertsaal – mag bereits einzigartig sein, aber über die Tauglichkeit als Konzertsaal sagt der optische Zauber noch nichts aus.
Zehn Millionen soll die verantwortliche Agentur zur Verfügung gehabt haben, um den Bau zu bewerben. Damit schuf sie aus dem Bau-Debakel ein Elb-Spektakel: Elbphilharmonie überall. Ein einziger bemitleidenswerter Demonstrant stand am Eröffnungsabend vor dem Haus und gemahnte auf einem A4-Plakätchen daran, dass der Bau statt 77 rund 866 Millionen Euro gekostet hat. Von aussen sieht man dem Haus jeden Euro an. Aber drinnen im Foyer, in den Aufgängen zum grossen und zum kleinen Saal, herrscht dank unversiegelter französischer Eiche deutsche Bodenständigkeit.
Die Mär, dass jeder Platz gut sei, hatte sich rasch verbreitet. Wer sich mit Besuchern unterhielt, merkte schnell, was zu erahnen war und für jeden Konzertsaal der Welt gilt: Es gibt in der Elbphilharmonie je nach Platz unterschiedliche Klangerlebnisse. Sehr gute – und schlechte. Akustik mag zwar ein naturwissenschaftlich berechenbares Phänomen sein, der Nachhall eine exakte Konstante, aber sie bleibt ein subjektives Erlebnis. Was ist nun also der vielzitierte «warme Klang» wirklich?
Vom vorderen linken Parkett aus klingt das Orchester wie zweigeteilt, der Klang mischt sich nicht. Die rechts vom Dirigenten postierten zweiten Geigen, Celli und Bässe sind klanglich sehr weit weg; die ersten Geigen, Harfen und vor allem die Bläser – Holz und Blech – erscheinen hingegen bisweilen überdeutlich präsent, im Parkett links knallt zudem jeder Harfen-Ton ins Ohr. Bis Mezzoforte ist die Mischung des Gesamtklangs eindrucksvoll, da er voluminös ist und vor Kraft strotzt. Bei zunehmender Lautstärke aber bricht der Klang über den Hörer herein. Laut wird zu grell. Anderes hingegen ist famos: Die Direktheit der Holzbläser klingt geradezu unheimlich, der volle Mezzoforte-Streicherklang berauschend.
Spannend wirds, wenn Gastorchester auftreten
Man ist stolz darauf, dass kein Platz mehr als 35 Meter vom Dirigenten entfernt liegt. Doch ist das eine Qualität? Gewiss gibt es Dirigenten-Gucker, die nur durchs Zuschauen den Klang wachsen hören. Und da sind auch jene Menschen, die gerne im Klang baden. Aber ist es nicht auch eine Qualität, nur mit den Ohren zu hören? Der US-Dirigent Lorin Maazel (1930–2014) sagte einst über das KKL, ein guter Dirigent erkenne die Qualitäten eines Saales und dirigiere dementsprechend. Keiner kennt die Elbphilharmonie zurzeit so gut wie Thomas Hengelbrock. Doch sein Orchester gehört zum NDR – ein schöner Klangkörper zwar, aber keiner von Weltrang. Der neue Saal macht die Musiker nicht besser. Noch nicht, jedenfalls. Spannend wird es sein, wie die Gastorchester sich hier behaupten werden.
Hamburgs Traum von einer Musikweltstadt
Dass die Arbeit von Akustiker Yasuhisa Toyota überwältigen will, ist auch im kleinen Saal zu hören. Hier kann er seinem Ideal eines faszinierend überpräsenten Geigentons sehr nahekommen. Im kleinen wie im grossen Saal zuckt man zusammen, wenn in den Zuschauerreihen akustische Ereignisse eintreten: Husten, Rascheln, Handys – alles dringt gnadenlos auf die Umgebung ein. Auch Saaltüren können erstaunlicherweise ins Schloss fallen.
Hamburg träumt dieser Tage vom Rang einer Musikweltstadt. Aufgrund des enormen Andrangs scheint man zu vergessen, dass die Welt erfreulicherweise voll ist mit spektakulären Konzertsälen: Los Angeles, Philadelphia, Valencia, Dortmund, Kopenhagen, Luzern, Lugano, Rom, Paris, Peking. Die traditionellen Säle – akustische Träume in Zürich, Salzburg, Wien, Prag, Moskau oder New York – verlieren ihre Faszination nie. Was auch nicht vergessen gehen sollte: Die Sinfonien eines Anton Bruckner oder Gustav Mahler zu hören, ist nicht einfach nur cool. Diese Musik braucht einen langen Atem.
Noch wollen alle in die Elbphilharmonie – scheinbar ungeachtet des Programms. Intendant Christoph Lieben-Seutter verstieg sich bei der Eröffnung des kleinen Saales gar zur Aussage, dass man diesen momentan auch mit Kamm blasenden Putzfrauen voll bekomme. Aber was ist in zehn Jahren, wenn «alle» drin gewesen sind – auch Lieben-Seutters Putzfrauen? Kommen dann weiterhin jeden Abend 2100 Freunde von Beethoven, Brahms und Berg? Bei aller Freude: In Hamburg wurde nicht mehr und nicht weniger als ein Konzertsaal eröffnet. Das ist für die Kulturwelt allemal ein Grund zum Feiern, auch wenn Elphi nicht singen kann.
CD
Elbphilharmonie Hamburg
First Recording Brahms, Sinfonien 3 & 4
NDR Elbphilharmonisches Orchester
Thomas Hengelbrock (Sony 2017).