Eine Lebenslüge kann Familiengeschichte schreiben: «Ich wusste nicht, was Verschweigen anrichtet.» Diesen Satz findet der Berliner Buchhändler Kaspar in den Aufzeichnungen seiner verstorbenen Frau. Sie verheimlichte ihm ihre Tochter in Ostdeutschland, die sie bei der Flucht aus der DDR zurückgelassen hatte.

Das ist die Ausgangslage von Bernhard Schlinks Schicksalsgeschichte «Die Enkelin». Der Schriftsteller und Jurist nimmt sich einmal mehr der deutschen Vergangenheit an. Diesmal stehen die Gegensätze zwischen der Bundesrepublik und dem deutschen Arbeiter- und Bauern­staat an. Der 77-jährige Schlink kam 1995 mit seinem Bestseller «Der Vorleser» über die Folgen der deutschen Nazi-Vergangenheit zu Weltruhm.

Buchhändler Kaspar macht sich auf die Suche nach der Tochter seiner toten Frau. Er ini­tiiert eine Krimi-ähnliche Fahn­dung, bis er Svenja in einer völkischen Gemeinschaft in der ostdeutschen Provinz trifft: «Sie hat zu den Rechten gefunden. Sie wollte kaputtmachen.» Svenja hatte als Adoptivkind eines DDR-Funk­tionärs eine schwere Jugend, und Kaspar erkennt, wie tief sie in die Verschwörungs­theorien der Neonazis verstrickt ist. So nimmt er sich ihrer halbwüchsigen Tochter Sigrun, seiner Enkelin, an und findet über die klassische Musik sowie das Schach­spiel einen Weg zu ihr. Schlink hat mit seinem Roman wiederum ein packendes zeitgeschichtliches Drama geschrieben. Auch wenn er mitunter den moralischen Zeigefinger etwas gar hochreckt.

Buch
Bernhard Schlink 
Die Enkelin
368 Seiten
(Diogenes 2021)