In der Literaturwissenschaft spricht man vom «allwissenden Autor». Dieser erfindet nicht nur Figuren und weiss, was sie denken und fühlen. Er spielt bewusst mit dieser literarischen Macht. Auch Peter Stamm (60) macht dies in seinen Büchern und geht zuweilen noch einen Schritt weiter, indem er Fiktion und Realität fast schon akrobatisch durcheinanderwirbelt.

Sein neuer Roman handelt von einer Filmerin, die eine Dokumentation über einen Autor drehen will, der einen Roman schreibt. Stamm hat damit auf die reale Anfrage zu einem solchen Dokfilm reagiert.

Den Film konnte man an den Solothurner Filmtagen und auf SRF sehen. «Wechselspiel» ist kein Meisterwerk, denn er versucht, Stamms literarische Kapriolen weiterzuführen – und scheitert. Der Roman aber bleibt über weite Strecken ein wirbliges Kunststück, jonglierend mit Handlungsorten und Zeitebenen, den Lebensgeschichten des Autors Richard Wechsler sowie Dokfilmerin und Ich-Erzählerin Andrea. Stamms Konstruktion erinnert in Ansätzen an Max Frischs fulminanten Montage-Roman «Mein Name sei Gantenbein », driftet mit der Zeit aber in Plaudereien und Plattitüden ab, zumal die Geschichte zunehmend auf Filmerin Andrea und ihr Liebesleben fokussiert. Wechsler wird zur Nebenfigur, ins Leben der Ich-Erzählerin rutschen neue Figuren. Die Geschichte spinnt sich weiter bis zum filmischen Schluss: «Nichts mehr. Schnitt.» Peter Stamm beschert den Lesern dennoch eine unterhaltsame Lektüre auf hohem Niveau.

Buch
Peter Stamm - In einer dunkelblauen Stunde
252 Seiten (S. Fischer 2023)