Stiller Has hat sich nicht neu erfunden. Der Sound seines
12. Albums ist allerdings eher schlanker und ruhiger geworden, der Tonfall etwas balladesker, vielleicht auch nüchterner. Endo Anacondas Stimme singt tief wie der «Blueswal», welcher auf «Chlyni Wält» zum Song hinausschwimmt. Das Album ist nicht ganz so bös, wie es klingt. Aber auch nicht harmlos.
«Böses Alter» enthält zehn Songs. Die Texte, gäng träf, zielen auf die Nahtstellen des täglichen Wahnsinns und der eigenen Befindlichkeiten, wie sie einem selbstironischen Beobachter wie dem 58-jährigen Endo Anaconda nicht entgehen. Thematisch ist das Alter in den Vordergrund gerückt, genauer: Die Perspektive desjenigen, der viele Jahre der Lebenslust mit allem Drunter und Drüber hinter sich hat. Was soll einen da noch erschüttern?
Gleich im Titelsong mokiert sich Endo Anaconda in mild temperierter Würde über «bösi alti Manne», «früsch tätowierti Pensionäre», «grantigi elteri Herre», um zum Schluss zu kommen: «Der Flückiger wird wältberüemt, geit rych i ds Heim u dir blybet da.» Dazu ein wunderschöner Mädchenchor, der mit Souplesse den letzten Hader wegputzt.
Oh Alter, wie schrecklich? «Ich war gar nie richtig jung. Als ich mit der Musik angefangen habe, war ich schon weit über 30. Zu alt, um jung zu sterben», hält Endo Anaconda gegenüber dem kulturtipp fest. Bald werde das Alter verboten und alle müssten bis 70 arbeiten. «Ich werde mir die Freude deswegen keineswegs verbieten lassen.»
Nach der Jugend sehnt sich Anaconda jedenfalls nicht zurück: «Jung sein wäre mir viel zu anstrengend. Meine jungen Jahre waren für mich echt eine schwierige Zeit. Die Jugend übersteht man nur mit Leidenschaft. Was aber zu Blessuren führt. Das Alter erträgt man einzig mit Humor.»
Befreiendes
Seine Lieder künden davon.
Da ist keine Verbitterung spürbar, höchstens Melancholie mit einer Prise gütigem Sarkasmus. Dem poetisch-philosophischen Beobachter Anaconda gelingen quer durch die Lieder denkwürdige Zeilen. Lakonische. Lustige. Traurige. Absurde. Selbstironische. Und doch so Befreiende.
Die Welt sei aus den Fugen geraten, kommentiert Anaconda: «Nach dem Kommunismus wird wohl bald dem Finanzkapitalismus das Totenglöcklein klingen.» Jedes untergehende System habe bisher gemeint, es gäbe keine andere Alternative als den ewigen Fortbestand seiner selbst. «Ökologisch gesehen brennt uns der Hut und politisch greifen die alten Rezepte nicht mehr.» Kein Grund zum Verzweifeln. «Daraus wird etwas Besseres entstehen. Ich vertraue auf unser kreatives Potenzial, auch wenn ich das selber nicht mehr erleben werde.»
Band in Form
Die Band ist souverän in Form, giesst die Lieder in minimale Arrangements mit feinen Zwischentönen. Da ist Gitarrist Schifer Schafer mit seinen kernigen und schneidenden Licks, kurzen eigenwilligen Phrasen mit bisweilen nur einem Akkord. Bassistin Salome Buser bettet die Lieder in warme Basslinien und sanftes Orgelgeschimmer. Markus Fürst hält als Schlagwerker den Blues der Zeilen in frischer Laune.
«Toti Sigarette» heisst der letzte Song, der einsetzt wie eine Reminiszenz an «Don’t Bogart That Joint» von The Fraternity Of Man («Easy Rider»-Soundtrack). Ein Lullabye auf den Absturz «mit em Tüüfel i der Höll, i däm Novotel Hotel». Der Sänger ist schon länger alt genug, um es selber zu wissen: «Es isch nid zum derby sy, mit dem Flückiger, em Endo u mit mir.» Das Lied habe er mit Handsome Hank auf seiner letzten CD als Duett auf Englisch gesungen. «Als Gage habe ich mir die Freiheit heraus genommen, es zu ‹verhasen›».
«Mit Schifer Schafer am Küchentisch und dann mit der Band» ist das Album entstanden. Die Lieder gingen nicht einfach locker vom Hocker, sondern waren oft das Resultat einer langen Auseinandersetzung. Für Anaconda ist ein Studioalbum «immer eine Zangengeburt». Die Lieder seien etwas Lebendiges, sie würden sich durch die Live-Auftritte verändern. Aufnahmen hingegen hätten so etwas Endgültiges. «Nachdem mein Werk fertig ist, kommt immer eine Leere. Man weiss nicht, ob man je wieder etwas auf die Reihe kriegt.»
Auf Achse
Dagegen hilft nur «on the road», denn Stiller Has ist eine Live-Band. Die Musiker und die Musikerin fahren selber, sie laden aus, machen den Soundcheck, spielen ihr Konzert, rechnen
ab, packen ihren Krempel ein und fahren nach Hause. «Ein Arbeitstag kann bis zu 14 Stunden dauern. Büroarbeit, Promo und Proben nicht eingerechnet. Wir machen zwischen 80 und 100 Konzerte im Jahr.»
Anaconda nimmt einen imaginären Schluck auf das böse Alter und meint. «Sonst wäre es wohl nicht auszuhalten.»
[CD]
Stiller Has
Böses Alter
(Sound Service 2013).
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