kulturtipp: Reto Burrell, wünschen Sie sich ein Internet für die Reichen und Privilegierten, wo für alles und jedes zu bezahlen ist?
Reto Burrell: Nein, ich wünsche ein freies Netz, das rechtsstaatliche Grundsätze respektiert.
Michael Gregr: In einem kontrollierten Netz geht die Kreativität verloren. Überall, wo kontrolliert wird, ist eigenständiges Denken nicht mehr möglich. Das schadet dem Kulturschaffen und somit auch den Musikern.
Burrell: Und wie bitte wollen Sie die Arbeit der Kulturschaffenden entschädigen?
Gregr: Die Piratenpartei schlägt ein bedingungsloses Grundeinkommen für jedermann vor. Damit wären alle Leistungen im Internet abgegolten, auch diejenigen der Musiker.
Burrell: Das funktioniert nicht. Es erbringen ja nicht alle die gleichen Leistungen im Netz.
kulturtipp: Wer soll dieses Grundeinkommen bezahlen?
Gregr: Die Steuerzahler. Wir sind gesellschaftlich genug stark, um allen ein Grundeinkommen zu finanzieren, das die kulturellen Leistungen im Netz entschädigt. Leider glauben noch nicht alle Leute daran. Viele meinen, das senke die Leistungsbereitschaft.
kulturtipp: Herr Burrell, wären Sie mit einem Grundeinkommen zufrieden, oder wollen Sie das grosse Geld machen im Internet?
Burrell: Das ist ein Witz, keiner macht im Netz das grosse Geld. Und wie gesagt, die Idee vom Grundeinkommen mag schön sein, ist aber utopisch. Viel einfacher wäre es, die Internet-Provider zu kontrollieren, die geschützte Werke im Netz aufschalten. Die Schweizer Musikschaffenden erhalten leider keine finanzielle Unterstützung vom Staat, darum brauchen wir einen besseren Schutz unserer Urheberrechte.
kulturtipp: Herr Burrell, noch nie musste jemand fürs Anhören oder Aufnehmen beispielsweise einer Radiosendung Urheberrechtsgebühren zahlen. Weshalb sollte für das Herunterladen aus dem Netz etwas anderes gelten?
Burrell: Das stimmt nicht, Radiohörer bezahlen der Billag Gebühren, und die Billag bezahlt uns Musiker via Suisa. Wir wehren uns gegen das Klauen von geschützten Werken.
kulturtipp: Das kommerzielle Verwerten von geschützten Werken ist schon nach heutigem Gesetz verboten. Sie fordern jetzt aber zusätzlich, dass der Staat die privaten Ansprüche von Urhebern schützt. Alle andern Privaten, deren rechtliche Interessen verletzt werden, können aber nicht auf den Staat zählen. Sie müssen ihre allfälligen Ansprüche bei einem Gericht einklagen. Warum sollen die Urheber gegenüber allen andern Arbeitenden privilegiert werden?
Burrell: Warum soll das ein privater Anspruch sein, wenn wir unsere Arbeit entlöhnt haben wollen?
kulturtipp: Wenn Sie, Herr Burrell, die Musik eines Kollegen im Netz herunterladen, lassen Sie ihm eine Entschädigung zukommen?
Burrell: Nein, ich gehe in einen digitalen Shop wie iTunes und kaufe das Stück. Das kostet wenig.
kulturtipp: Ehrlich?
Burrell: Ja, sicher. Man hat ja früher Vinylplatten auch nicht im Laden geklaut.
Gregr: Ich sehe nicht ein, was falsch daran sein soll, wenn ich ein gutes Stück im Netz runterlade und es einem Kollegen schicke.
Burrell: Dagegen haben wir ja nichts. Aber es geht nicht an, dass einer Musikstücke im Internet aufschaltet und kommerziell verwertet, ohne die Musiker zu entschädigen.
Gregr: Das ist für mich als Nutzer nebensächlich, weil ich nie etwas kommerziell aus dem Internet herunterlade. Das ist immer legal.
Burrell: Wir greifen ja auch nicht die Downloader an. Wir kämpfen um gesetzliche Schranken für die Internetprovider oder Internetfirmen wie Rapidshare, damit sie nicht auf unsere Kosten von der Verbreitung unserer Musik profitieren.
Gregr: Das ist, wie wenn Sie einen Telefonanbieter wie die Swisscom für die Gespräche im Netz verantwortlich machen wollten.
Burrell: Die lange und teure Produktionsarbeit einer Musikaufnahme mit einem Telefongespräch zu vergleichen, ist etwas abseitig. Ein Musikerfreund von mir hat bei der Schweizer Vorausscheidung des Concours Eurovision de la chanson mitgemacht. Er hat seinen Song produziert und aufgenommen; das hat ihn viel Geld gekostet. Zwei Tage später konnte man ihn bei Rapidshare gratis herunterladen.
kulturtipp: Wie hätte dieser Musiker denn sein Stück sonst verwerten können? Wahrscheinlich überhaupt nicht.
Burrell: Der wollte es kommerziell auf einer CD herausgeben.
Gregr: Es verlangt ja niemand, dass man das Urheberrecht abschaffen soll. Aber die Interessen der Künstler sind mehr von den Rechteverwertern als von den Nutzern bedroht.
Burrell: Es ist doch Schmarotzertum, wenn man die Leistungen eines Künstlers anbietet, ohne ihn um die Erlaubnis zu fragen.
kulturtipp: Und wie soll die gesetzliche Lösung aussehen?
Burrell: An der arbeiten wir gerne mit, es braucht schärfere Bestimmungen.
Gregr: Tun Sie doch nicht so, es gibt heute zahlreiche ungeschützte Leistungen im Internet, von denen alle profitieren, auch die Kulturschaffenden. Das gehört dazu.
kulturtipp: Herr Gregr, sind Sie denn für die absolute Freiheit im Netz? Jeder und jede soll dort tun und lassen, was er will?
Gregr: Nein, es gibt strafrechtliche Grenzen. Man darf das Netz nicht für Kriminalität missbrauchen, dazu gehört beispielsweise der Diebstahl von Daten.
Burrell: Okay, und wenn Sie Ihre Musik im Internet hören wollen, bezahlen Sie nichts dafür. Was hören Sie eigentlich am liebsten?
Gregr: Nichts, ich höre kaum Musik. Aber darum geht es nicht. Sie halten an der künstlichen Trennung zwischen Urhebern und Nutzern fest. Das lehnen wir ab. Unseres Erachtens ist jeder Nutzer des Internets auch ein Urheber, weil er in der Regel ebenso Leistungen anbietet, wie er davon profitiert. Aber wir gestehen eine Frist von 14 Jahren zu, in der ein Werk im Netz geschützt bleiben soll.
Burrell: Da muss ich lachen, das ist doch völlig unrealistisch. Das geltende Recht sieht einen Urheberschutz von 70 Jahren nach dem Tod vor.
Gregr: Die Idee vom einsamen Künstler, der eine geniale Idee hat und diese umsetzt, ist passé. Heute ist gegenseitige Inspiration angesagt. Jeder muss von den Ideen der andern profitieren können. Aber ich stelle fest, dass man dies zusehends unterbinden will.
Burrell: Inspiration ist ja schön, aber hier geht es um Diebstahl.