Der melancholische Ironiker
Bis heute gelesen wird seine knisternde Sommererzählung «Schloss Gripsholm». Kurt Tucholsky (1890–1935) war Zeit seines kurzen Lebens aber vor allem Gebrauchsschreiber: Journalist, Musik-Kritiker, Liedtexter. Die politische Verdunkelung ab den späten 1920ern machte den Berliner Pazifisten dann zum satirischen Chronisten. «Zwei Seelen» umfasst 30 Kurztexte, die Tuchol­skys späte Weltsicht dokumentieren. Peter Franke liest im treffenden Tonfall des melancholischen Ironikers etwa das Spottgedicht «Rosen auf den Weg gestreut», worin er ­allen rät, sich von den Faschisten erdolchen zu lassen, denn: «Wer möchte nicht gern Opfer sein?» Im luftigen Liebesgedicht «Sie schläft» träumt er sich «aus der Welt», im titelgebenden «Zwei Seelen» witzelt er tiefsinnig über seinen Ober- und Unterleib. Tucholskys Texte entstanden vor knapp 100 Jahren. Wenn Peter Franke aber den Prosatext «Die brennende Lampe» liest, der die Entstehung von «Nationalwahn» auf einleuchtende Weise erklärt, stellen sich heutigen Zuhörern die Nackenhaare auf.

Kurt Tucholsky
Zwei Seelen. 
Texte und Gedichte
Lesung: Peter Franke
1 CD, 85 Minuten
(GoyaLit 2019)