Klassik

Treffsichere Ersteinspielung

Ersteinspielungen bieten den Vorteil, dass sie von keinen Referenzaufnahmen bedrängt werden. Doch dies müsste den Geiger Christoph Schickedanz ohnehin nicht kümmern: Seine Wiedergabe von Ernst Kreneks erster Sonate für Solo-Violine, die hier erstmals überhaupt auf CD erscheint, darf auf Anhieb als Standardinterpretation des Werks gelten. Mit schonungsloser Schärfe gibt er die Dissonanzgestalten des Werks wieder, während er die lyrisch-zarten Passagen beinahe hinhaucht. Damit trifft er den leidenschaftlichen Ton dieser langen und harmonisch frei gestalteten Sonate. Gemeinsam mit versierten Partnern des Johannes-Kreisler-Trio interpretiert er auch die weiteren Violinwerke Kreneks mit viel Gespür für die teilweise von riesigen Unterschieden geprägten Ausdruckscharakteren. Die CD ist auch ein gelungenes Dokument zur Veranschaulichung der hohen musikalischen Wandlungsfähigkeit des austro-amerikanischen Komponisten.
Fritz Trümpi

Ernst Krenek –
Werke für Violine
(Audite 2013).


Sounds

Lob der Langsamkeit

Sie sind als Low seit genau 20 Jahren die Indie-Meister der Entschleunigung: Das Ehepaar Mimi Parker und Alan Sparhawk aus Duluth, Minnesota (wo Bob Dylan geboren wurde), feiert in der Musik seiner Band Low mit Konsequenz die beinahe zeitlupenhafte Langsamkeit. «Slowcore» wurde das schon genannt, obwohl der Begriff ihnen selber gar nicht gefällt.
Da wird in der minimalistischen Standardbesetzung Gitarre, Schlagzeug, Bass (aktuell: Steve Garrington) und etwas Klavier, vor allem aber auch mit berückendem Gesang, solo oder im Doppel, einem «Schlepp-Rock» gefrönt, der es in sich hat. Es ist schön unaufgeregt und umso intensiver, was sie auf dem neuen, zehnten Album «The Invisible Way» präsentieren. Sie überbieten beinahe bisherige Grossleistungen. Mit zu verdanken ist es dem Produzenten Jeff Tweedy (Wilco).
Urs Hangartner

Low
The Invisible Way
(Sub Pop/Cargo 2013).


Klassik

Vivaldi fährt Vespa

Auf dieses Wortspiel musste erst mal einer kommen: Die musikalische Anweisung «Con moto» – mit Bewegung – heisst hier «auf dem Töff». Das passt zu Italien und zu diesem Geiger mit Dreitagebart, Sonnenbrille und offenem Hemd. Aber Giuliano Carmignola kann mehr als das: ­
Er gilt als bester Vivaldi-Geiger. Technisch ohne Fehl und
Tadel, schwingt er sich in höchste Höhen, um sogleich butterzart über die Darmsaiten seiner Stradivari zu streichen. Lislot Frei, SRF 2 Kultur

Giuliano Carmignola
Vivaldi con moto
(Archiv Produktion 2013).

5/5

 

Frühlingsgefühle

Das Orchestra della Svizzera Italiana unter Howard Griffiths versprüht mit Kompositionen wie Edward Elgars «Salut d’amour» und Frederick Delius’ Klangmalerei «On Hearing The First Cuckoo In Spring» Frühlings-Schwärmereien. Zudem spielt der Blockflötist Maurice Steger mit tänzerischer Leichtigkeit das quirlige Concerto von Anton Heberle. Solch fröhliche Klänge sind das ideale Rezept, um sich im Garten ein unbeschwertes «Tea for two» zu gönnen. André Scheurer, Radio Swiss Classic

Orchestra della Svizzera
Italiana
Tea for Two
(Berlin Classics 2013).

5/5


Jazz

Karibik in Manhattan

In New York hält der junge ­kubanische Pianist und Organist David Virelles in alt-neuer Weise Zwiesprache mit den afro-kubanischen Göttern und schlägt einen Bogen von ­altem Brauchtum zum Jetzt. Jazzeinflüsse von Bud Powell bis Cecil Taylor mischen sich mit Elementen des Karnevals, der Abakuá-Trommelrituale und populären Tanzbeats. Prominentester Akteur ist der legendäre Free-Jazz-Drummer Andrew Cyrille mit haitianischen Wurzeln. Jürg Solothurnmann

David Virelles
Continuum
(Pi Recordings 2013).

4/5

 

Wuchtige Magie

Es war eine besondere Begegnung im März 2012. Im Rahmen des Intakt-Festivals im New Yorker Club «Stone» traf Lucas Niggli auf Gitarrist Elliott Sharp und Bassist Melvin Gibbs. Einen Tag später setzte sich der Ustermer Perkussionist mit den beiden Lichtgestalten der New Yorker Down­town-Szene ins Studio und nahm drei Stunden Musik auf. Die Essenz dieses avantgardistischen Abenteuers ist nun auf CD zu hören: Freemusic von seltener Wucht und ­Magie. Frank von Niederhäusern

Sharp – Gibbs – Niggli
Crossing The Waters
(Intakt 2013).

5/5


Sounds

Erste Liga

Es ist ein Rätsel, warum die Yeah Yeah Yeahs nicht so bekannt sind wie andere Bands, die im Zuge des Rock-Revivals der 00er-Jahre ins Rampenlicht drängten. Die New Yorker waren immer angriffs- und experimentierlustiger als etwa die Strokes oder White Stripes. Auf «Mosquito» geben sie sich überraschend eingängig. Zu kratzigen Gitarrenpatterns und teils mechanischen Rhythmen singt und schreit Frontfrau Karen O mitreissende Popsongs. Zeit also für die erste Liga. Nick Joyce

Yeah Yeah Yeahs
Mosquito
(Universal 2013).

4/5

 

Canterbury-Disco

Wie zufällig plumpsten Waldorf mit ihrer Italo-Disco 2000 in die Anfänge der Electroclash-Bewegung. In New York erreichten sie damit beachtliche Szenegrösse. Jetzt macht sich das Zürcher Duo an eine Wiederbelebung von psychedelischem Prog­rock und Glamrock-Bombast im Postdisco-Kontext. Diese gelungene Gratwanderung zwischen harmonischer Komplexität und Pophaftigkeit zeigt Parallelen zum Canterbury Sound der Siebzigerwende. Silvio Biasotto

Waldorf
Post Hormon Music & Choral Fantasy
(Le Bal/Godbrain 2013).

4/5


World

Sehnsuchtsmusik

Der Gospel ist wieder da. In der aktuellen Popmusik kann man die Handclaps und Chants der alten afro-amerikanischen Kirchenmusik ­hören, übersetzt in eine weltliche Sehnsuchtsmusik. Diese grossartige Sammlung aus dem Repertoire von professionellen und anderen Unterhaltern aus der schwarzen Community des US-Südens zeigt: Das Jenseitige hat schon in der Gründerzeit der heutigen Populärmusik auch viele Blues- und Folksänger geprägt. Christoph Fellmann

Diverse
Sorrow Come Pass Me Around (Dust to Digital 2013).
 
5/5

 

Flamenco oriental

Der Gitarrist Amir John Haddad ist in vielen Musikstilen zu Hause. Schon seit Kindheitstagen begleitet ihn die Liebe zum Flamenco. Nun präsentiert er ein Solo-Album, auf dem die Flamenco-Gitarre ganz im Zentrum steht. Gleichzeitig bringt der Sohn eines palästinensischen Oud-Spielers auch orientalische Harmonien ins temperamentvolle Spiel. Vor allem aber zeigt der Begleiter bekannter Flamenco-Namen schlicht seine grosse Meisterschaft an der Gitarre. Claudine Gaibrois

Amir John Haddad
9 Guitarras
(Zoomusic 2013).
 
5/5