Ein Musikwettbewerb für Streicher ist nichts für Zartbesaitete. Beim Zürcher Rahn Musikpreis traten diesen Winter 50 Geiger, Bratscher, Cellisten und Kontrabassisten – nur mit ein paar Tönen bekleidet – vor eine vierköpfige Jury. Jede und jeder der Hoffnungsträger legte sein Tonkleid in einer Viertelstunde ab. Alles oder nichts? Das ist die Ausgangslage an dem Wettbewerb, welcher der Unternehmer Hans Konrad Rahn 1976 zur Förderung von Studierenden an Schweizer Hochschulen ins Leben gerufen hat.
Als Preis lockt ein Auftritt mit Orchester
Wer die vier Juroren am meisten beeindruckt, bekommt Geld. Aber nicht nur: Vor allem lockt ein Auftritt als Solist mit einem Orchester – dieses Jahr mit dem Luzerner Sinfonieorchester. Nichts will ein Musiker mehr als einen solchen Auftritt.
Allerdings verstehen nicht alle Studierenden, dass es zum «Sieg» mehr braucht als ein tolles Vibrato, einen sicheren Strich und flinke Finger. Bisweilen ist man als Besucher im Zürcher ZKO-Haus gar etwas ernüchtert, wie zurückhaltend, ja geradezu apathisch diese jungen Musiker in den Saal treten. Sie verstecken sich grusslos hinter ihren Noten und wollen mit ihrer Kunst allein Ausrufezeichen setzen. Viele sind von anderen Wettbewerben offenbar nichts anderes gewohnt. «Hallo, hier ist das 21. Jahrhundert, Freunde!», will man da bisweilen den jungen Musikern zurufen. «Nur spielen – das war früher.»
Bei aller Kritik: Es gab am diesjährigen Rahn Musikpreis auch grosse Musiker zu erleben. Für die 1977 geborene Ana P. Rahn fast zu viele. Die Juristin ist heute Verwaltungsrätin des Unternehmens, Präsidentin des Vereins Rahn Kulturfonds und Stiftungsrätin der Hans Konrad Rahn-Stiftung. Die grösste Überraschung war für sie, wie viele Preise von der unabhängigen Jury vergeben wurden. Alle 12 Finalisten erhielten eine Auszeichnung und somit Geld. Das war ein Novum und irritierte Rahn zunächst, wie sie ehrlich gesteht. «Die Juroren haben mir jedoch erklärt, dass die Musiker alle auf äusserst hohem Niveau spielten. Sie lagen mit ihren Interpretationen und ihrem Können sehr nahe beieinander und verdienten daher alle einen Preis.»
Als Laie kann und will Ana Rahn die Technik der Vorspielenden nicht beurteilen. Doch als begeisterte Zuhörerin weiss sie sehr genau, ob ihr das Vorgetragene gefallen, ob es sie berührt und angesprochen hat – oder eben nicht. Sie selber hätte den Ersten Preis gar anders verliehen. «Aber wer bin ich, so etwas zu sagen?» Die anfängliche Überraschung über den Jury-Entscheid verwandelte sich jedenfalls in Freude und Stolz.
Die Gefahr der Mittelmässigkeit
Dennoch taucht bei einem Wettbewerb immer die Frage nach dem Zweck auf. Meisterpianist András Schiff, der nie einen Ersten Preis gewann, sagte uns einst, dass er Wettbewerbe, deren Gewinn Konzertauftritte ermögliche, empfehlen könne. Aber seinen guten Schülern rät er dennoch im Allgemeinen von einer Teilnahme ab. «Ein junger Mensch muss etwas mitzuteilen haben.» Sonst falle er ins Mittelmass ab, und dort sei alles besetzt. Viele Wettbewerbssieger gehörten diesem Mittelmass an: «Sie gewannen, da sie in der künstlich aufgeregten Atmosphäre der Wettbewerbe überzeugen konnten. Heute gibt es andere Möglichkeiten, weiterzukommen.» Ganz oben gebe es immer Platz für gute Musiker. Zumal es jedoch nicht nur jenes kleine «ganz Oben» gibt, wird sich ein junger Musiker zweimal überlegen, ob er Schiffs Rat befolgt.
Ana Rahn ist der Sinn ihres Musikwettbewerbs klar: Ihr Kulturfonds sei die beste Möglichkeit, herausragende Musikstudentinnen und -studenten in der Schweiz kennenzulernen und im Anschluss an den Wettbewerb gezielt zu fördern. «Ich kann mich auf unsere unabhängige Jury verlassen.»
Tatsächlich schaffen es immer wieder Rahn-Musikpreissieger nach oben. Der Cellist Benjamin Nyffenegger etwa ist ein Aushängeschild des Tonhalle-Orchesters Zürich und triumphiert auch als Kammermusiker im Oliver Schnyder Trio. Er war 2006 Erstpreisträger. Aus demselben Jahrgang spielen Rahn-Wettbewerbsteilnehmer Samuel Alcantara und Noémie Rufer im Tonhalle-Orchester. Beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks haben die beiden Erstpreisträger, der Kontrabassist Wies de Boevé sowie der Cellist Lionel Cottet, eine Festanstellung. Cottet tritt als Solist längst auch auf grossen Bühnen auf.
Am 10. April im Rampenlicht
Wie es mit den Karrieren der diesjährigen Sieger weitergeht, weiss niemand. Der Ukrainer Vasyl Zatsikha (Violine), der Kasache Salauat Karibayev (Violoncello) und der Chinese Zhixiong Liu (Kontrabass) werden jedenfalls am 10. April zusammen mit dem Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Patrick Hahn in Zürich Werke von Peter Tschaikowsky, Dmitri Schostakowitsch und Nino Rota spielen: eine Chance für das Trio, das grelle Rampenlicht kennenzulernen.
Rahn Preisträgerkonzert
Di, 10.4., 19.30 Tonhalle Maag Zürich
Luzerner Sinfonieorchester mit: Vasyl Zatsikha (Violine), Salauat Karibayev (Violoncello), Zhixiong Liu (Kontrabass)
CDs mit Preisträgern
Beethoven
The Piano Trios Mit Benjamin Nyffenegger
(Sony 2017)
Lionel Cottet
From Latin America to Paris
(Sony 2017)
Wies de Boevé
Double Bass
Werke von Gliere, Piazzola u.a.
(Genuis 2015)