Yusuf Yesilöz bewegt sich zwischen zwei Welten: zwischen der Schweiz und der traditionellen Welt in einem kurdischen Dorf. Er selbst floh als 23-Jähriger aus Mittelanatolien und lebt mittlerweile seit 30 Jahren in Winterthur, wo seine beiden Kinder aufgewachsen sind. Auch in seiner Literatur widmet er sich oft diesen unterschiedlichen Welten, gerade hat er mit dem Roman «Der Libellenspiegel» seine «Beyto-Trilogie» abgeschlossen.
Im Mittelpunkt steht der homosexuelle Beyto, der mit Sahar zwangsverheiratet wird und aus diesem einengenden System flüchtet. «Nun wollte ich die Geschichte aus Frauensicht erzählen», sagt der Autor bei einem Kaffee in der Winterthurer Altstadt, wo er sich als zurückhaltender Gesprächspartner mit herzlichem Lachen zeigt. Im Buch entwickelt sich Sahar, die mit ihrem neuen Partner und dem gemeinsamen Kind in der Schweiz lebt, zur selbstbestimmten Frau.
«Durch die Migration entsteht ein Bruch. Die Familien kommen aus dem Dorf mit traditionellen Strukturen in die Schweiz und merken, dass es hier anders funktioniert. Manchmal muss es aber zu einem Knall kommen, bis die Leute bereit sind, das zu akzeptieren», sagt Yesilöz. Ein Knall, wie bei der Familie in der Romantrilogie, die anfangs ihren Sohn Beyto verstösst und die junge Braut Sahar in ihrem Schmerz alleinlässt.
«Man hat vorgefertigte Bilder über Homosexuelle im Kopf, diese bekommen aber durch persönliche Kontakte und die andere Art der Auseinandersetzung mit dem Thema in der Schweiz plötzlich einen Riss», sagt Yesilöz. Ihm sei es selbst nicht anders ergangen.
«Migration ist ein grosses Politikum»
Migration und Menschenrechte stehen auch in seinen SRF-Dokfilmen im Mittelpunkt, etwa wenn er drei kurdische Politiker porträtiert, die sich im Asyl in der Schweiz nur noch als Flüchtlingsnummer fühlen. «Migration ist ein grosses Politikum. Ohne sie wäre auch die AfD in Deutschland nicht so erstarkt.» Er will sich aber nicht vereinnahmen lassen von der Politik oder – wie auch schon passiert – sich vorschreiben lassen, wie er darüber berichten soll.
«Ich möchte einfach meine Geschichten erzählen.» So sieht er sich auch nicht als ein Vermittler zwischen den Kulturen. Leise lächelnd sagt er: «In meinem Schaffen gehe ich von Bildern aus – ich bin nur der Überbringer dieser Bilder.» Metaphernreich ist auch seine Sprache in den Romanen. «Die Sprache ist in der kurdischen Kultur weniger mechanisch als hier, man spricht sehr viel in Vergleichen.»
«Das Deutsch eines Herrn Müller» liege ihm nicht. Stets ist in seinem Werk ein versöhnlicher Ton spürbar, und es bleibt Platz für positive sowie kritische Aspekte auf beiden Seiten. Wie viele seiner Figuren scheint auch der Autor ein melancholisch gestimmter Mensch zu sein. Die Erzählung vom Verlust und von der Lücke, die bei einer Migration bleibt, ist auch seine eigene Geschichte.
Lesungen
Sa, 5.10., 19.30 Güterschuppen Bahnhof Töss Winterthur
Mi, 23.10., 20.00 Kapitel 10 Zürich
Buch
Yusuf Yesilöz
Der Libellenspiegel 208 Seiten
(Limmat 2024)
Yusuf Yesilöz’ Kulturtipps
Film
Amjad Al Rasheed: Inshallah a Boy
«Ein schön gemachter, beeindruckender jordanischer Film aus Frauenperspektive. Es geht um eine starke Frau, die um ihre Freiheit kämpft.»
Im Kino: Mo, 23.9., 18.00,
Di, 24.9., 19.30 Qtopia Uster ZH
Do, 19.9. und Do, 10.10., 21.00 Studiokino Castell Zuoz GR
Stream: Apple TV+
Buch
Elisabeth Bronfen: Händler der Geheimnisse (Limmat 2023)
«Das Buch von Elisabeth Bronfen hat mir sehr gefallen. Sie schreibt über jahrelang gehütete Geheimnisse, die nun gelüftet werden.»
Radio
Echo der Zeit
«Ich höre gerne und oft Radio. ‹Echo der Zeit› von SRF höre ich regelmässig – eine sehr informative Hintergrundsendung.»