Zum Glück sind sie zu einem Grossteil vorbei, die Fernsehzeiten der unverbesserlichen Besserwisser und ewigen Rechthaber. Man erinnert sich dabei an den legendären Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki (1920–2013). Ihm, dem eigentlichen Fernseh-Gegner, ist «Das Literarische Quartett» (ab 1988) mit zu verdanken. Der Ton in den heutigen Kritikerrunden ist in den vergangenen 30 Jahren differenzierter geworden. Das heisst nicht ausgewogen, das wäre langweilig. Noch immer gibt es Streithähne neben Harmoniesüchtigen. So kann es je nach personeller Besetzung hitzig oder weniger spannend werden, wenn über Bücher gesprochen wird.
Literaturvermittlung am Bildschirm funktioniert in unterschiedlichen Formen: Vom Kritiker-Talk über Rezensionen und Autorengespräche bis zum Porträt informieren sie über Neuerscheinungen und bieten Einordnungen. Längst beschränken sich die Sendungen nicht mehr auf die «reine» Literatur. Neben Belletristik haben Sachbücher ebenso ihren Platz wie ein Fotoband oder ein Comic-Album.
Es sind zwei Kategorien von Sendungen auszumachen: die klassische Kritikerrunde, wo Fachleute unter sich diskutieren, und Literaturmagazine. Dazu als Ausnahmeerscheinung eine Interview-Sendung mit Thomas Gottschalk. Der kulturtipp hat zehn Sendungen geprüft und stellt sie in zwei Kategorien in einer Rangliste vor.
Literaturdiskussionen
1 lesenswert – Das Quartett
Viermal im Jahr trifft man sich für «lesenswert – Das Quartett» zur kritischen Viererrunde: drei feste Mitglieder unter der Leitung von Gastgeber Denis Scheck und jeweils ein wechselnder Kritiker-Gast. Schauplatz ist eine prunkvolle Villa mit dem Namen Palais Biron in Baden-Baden. Ein runder Tisch auf ebenfalls rundem Podest ist der Ort des Geschehens, rundherum sitzt das Publikum im Saal. Vier Bücher stehen jeweils zur Debatte. Im besten Fall sind dazu vier Meinungen zu vernehmen. Nichts schlimmer, als wenn alle vier der gleichen Meinung wären. So entstehen anregende und aufregende Diskussionen aus unterschiedlichen Perspektiven. Man differenziert Urteile der anderen, widerspricht oder streitet sich mit Respekt. Überraschende Positionen sind nicht ausgeschlossen.
Die Stammrunde um Gastgeber Denis Scheck ist relativ jung: Der «Zeit»-Kritiker Ijoma Mangold hat Jahrgang 1971, die Kritikerin Insa Wilke (u.a. Radio WDR) ist 1978 geboren. Chef Scheck, Jahrgang 1964, war lange Literaturredaktor beim Deutschlandfunk. Seit 2014 ist er als Moderator bei «lesenswert» dabei. Was den fachlichen Horizont und die prononcierte Ausdrucksart angeht, macht die «lesenswert»-Runde
unter den Büchertalksendungen den überzeugendsten Eindruck. (hau)
Viermal jährlich, 60 Minuten
Nächste Sendung: Do, 12.12., 23.15 SWR
www.swrfernsehen.de } lesenswert
www.ardmediathek.de } lesenswert
Kompetenz: 4,5 von 5
Originalität: 3 von 5
Unterhaltungswert: 4 von 5
Streitkultur: 4,5 von 5
Entdeckerlust: 4,5 von 5
2 Literaturclub
Unter der souveränen Leitung von Nicola Steiner diskutiert eine wechselnde Expertenrunde über vier bis fünf aktuelle Bücher: Der eloquente, zum Elitären neigende Philipp Tingler und die belesene, zur Hitzigkeit neigende Elke Heidenreich sind sich meist uneins. Eine neue Sichtweise bringen der Tausendsassa Milo Rau oder die Theatermacherin Laura de Weck ein. Raoul Schrott, Martin Ebel, Thomas Strässle und ein Gastkritiker aus der Kulturszene ergänzen die literarisch versierte Runde. Nicola Steiner wirft die richtigen Fragen auf, hakt wenn nötig nach. Unterbrochen werden die oft kontrovers und leidenschaftlich geführten Diskussionen nur von einer Lesung eines Schauspielers zu einem der Bücher. Die Runde schafft es, mit viel Sachverstand und Witz Lust auf Literatur zu machen. (bc)
Monatlich, 75 Minuten
Nächste Sendung: Di, 12.11., 22.20
SRF 1
www.srf.ch/play/tv/ } literaturclub
Kompetenz: 4,5 von 5
Originalität: 3 von 5
Unterhaltungswert: 4,5 von 5
Streitkultur: 4 von 5
Entdeckerlust: 3,5 von 5
3 Das Literarische Quartett
Volker Weidermann ist nicht zu beneiden. Seit 2015 moderiert der «Spiegel»-Literaturchef die Neuauflage jener Büchersendung, die von 1988 bis 2001 von Kultkritiker Marcel Reich-Ranicki geprägt wurde. Weidermann schlägt bewusst einen anderen Kurs ein: Er hält sich oft zurück und schaut verträumt in die Runde. Seine Voten aber sind brillant, die seiner Partnerinnen von unterschiedlicher Schärfe: Autorin Thea Dorn, die 2017 den unsäglich provokativen Maxim Biller ablöste, argumentiert präzise bis professoral. Rundfunkjournalistin Christine Westermann wirkt oft fahrig und löst Debatten aus, die in ihrer unvermittelten Heftigkeit inszeniert wirken. Formal stört eine unruhige Kameraführung und das stetige Spiel mit den Spiegeln des Berliner Ensembles. Fast ganz auf der Strecke bleibt der gescheite Witz, der das «alte» Quartett auszeichnete. Diesen bringt nun oft der wechselnde Gast mit. (fn)
Sechsmal jährlich, 45 Minuten
Nächste Sendung: Fr, 18.10., 23.00 ZDF
www.zdf.de } das literarische quartett
Kompetenz: 5 von 5
Originalität: 2 von 5
Unterhaltungswert: 4 von 5
Streitkultur: 4 von 5
Entdeckerlust: 4 von 5
4 Buchzeit
«Spass am Buch» soll die Sendung im Glascontainer im Frankfurter Osthafen wecken. Moderator Gert Scobel bricht die Diskussion mit den drei kompetenten Literatur-Frauen denn auch immer wieder auf Unterhaltungsniveau runter, wenn es zu komplex wird. Das stört besonders, wenn er Geschlechterklischees bemüht. «Ist künstliche Intelligenz ein typisches Männerthema?», fragt er etwa als Einstieg zu Ian McEwans Buch «Maschinen wie ich». Erfrischend hingegen die kontroversen Debatten: So geht etwa Literaturprofessorin Barbara Vinken bei McEwans Buch gleich zu Anfang in die Vollen. «Als Literatur finde ich das vollkommen verfehlt.» Für die Literaturkritikerinnen Sandra Kegel und Katrin Schumacher hingegen ist es «grosse Literatur». Leider bleibt zu wenig Zeit, dies auszuführen. Denn zwischen den vier Büchern, die besprochen werden, gibt es jeweils einen langwierigen Einspielfilm mit Schauspielern, die Szenen aus dem Buch nachspielen. Dazu kommen vier Kurztipps der Expertinnen, darunter auch wieder entdeckte Klassiker oder Neuübersetzungen. (bc)
Viermal jährlich, 60 Minuten
Nächste Sendung: So, 20.10., 18.00 3sat
www.3sat.de/kultur } buchzeit
Kompetenz: 3,5 von 5
Originalität: 2,5 von 5
Unterhaltungswert: 3,5 von 5
Streitkultur: 4 von 5
Entdeckerlust: 3 von 5
Büchermagazine
1 Druckfrisch – Neue Bücher mit Denis Scheck
«Druckfrisch» ist das abwechslungsreichste und am besten gemachte Büchermagazin im deutschsprachigen Fernsehen. Moderator Denis Scheck agiert kompetent und originell. Wenn es sein muss, kann er sehr wohl vernichtend urteilen. Zur Sendung gehört eine Kurzrezension ebenso dazu wie das Gespräch mit einem Autor. Dieses führt Scheck nicht selten vor Ort, wenn er zum Autor reist. Dünkel kennt er nicht; er kann schon mal einen Comic oder ein Kochbuch vorstellen. Kult ist die «Druckfrisch»-Rubrik «Top Ten», bei der er die ersten zehn Titel der «Spiegel»-Bestsellerliste (Belletristik oder Sachbuch) im Schnelldurchlauf würdigt, die Guten preist, die schlechten buchstäblich nach hartem Scharfrichterurteil («ein unnötiges Buch») in eine Mülltonne schmeisst. «Druckfrisch» ist originell und locker-spielerisch gemacht, dabei nie oberflächlich. (hau)
Achtmal jährlich, 30 Minuten
Nächste Sendung: So, 13.10., 00.05 Das Erste
www.daserste.de } druckfrisch
Kompetenz: 4,5 von 5
Originalität: 5 von 5
Unterhaltungswert: 5 von 5
Entdeckerlust: 4,5 von 5
2 lesenswert
Denis Scheck zum Dritten: «lesenswert» ist das SWR-Büchermagazin aus dem Palais Biron, drinnen oder draussen im Park. Hier empfängt Scheck einen literarischen Gast zum Auge-in-Auge-Gespräch über das jüngste Buch. Statt über eine Autorin oder einen Autor im Interview mehr als Literarisches zu erfahren, kommt zusätzlich ein origineller Fragebogen zur Anwendung. Es stehen Alternativen zur Auswahl, an Zetteln an einer Leine aufgehängt, etwa «Exil oder Heimat?», «Exotik oder Erotik?», «Falafel oder Pasta?» (Beispiele zum letzten Gast Rafik Schami). Nach dem Autorengespräch setzt sich Denis Scheck mit Insa Wilke zusammen, um gemeinsam drei Bücher der monatlichen SWR-Bestenliste zu besprechen. Am Ende der Sendung versammelt sich die gesamte technische Crew auf der Terrasse der Villa, und der Chef kommentiert in der Rubrik «Schecks persönlicher Kanon der Weltliteratur» ein Buch, das ihm und der Welt viel bedeutet. (hau)
Monatlich, 30 Minuten
Nächste Sendung: Do, 24.10., 23.15 SWR
www.swrfernsehen.de } lesenswert
Kompetenz: 4,5 von 5
Originalität: 4,5 von 5
Unterhaltungswert: 4,5 von 5
Entdeckerlust: 4 von 5
3 Bücherjournal
Eine bunte, ansprechende Sendung für Bücherliebhaber, die sich aus dem riesigen Angebot an Neuerscheinungen zu Romanen, Bildbänden und Sachbüchern inspirieren lassen wollen: Julia Westlake führt kompetent durch die kurzweilige Sendung, die in passender Atmosphäre in einer Buchhandlung aufgezeichnet wird. Aufwendig produzierte Einspielfilme mit Interviews und Filmszenen vor Ort untermalen ihre Empfehlungen. So hat das «Bücherjournal»-Team etwa den baskischen Autor Fernando Aramburu zu Hause in Hannover besucht, wo er einen persönlichen Einblick in sein Schaffen gibt. Originell: Die Figuren seines Romans turnen im Einspielfilm in animierten Bildern durch sein Zuhause. In jeder Sendung ist Julia Westlake zudem im kurzen Gespräch mit einem aktuellen Gast zu hören, der auch eine persönliche Buch-Empfehlung abgibt. (Geheim-)Tipps aus verschiedenen Genres sind in dieser luftig-leichten Sendung garantiert. (bc)
Sechsmal jährlich, 30 Minuten
Nächste Sendung: Di, 29.10., 00.00 NDR
www.ndr.de/fernsehen/sendungen } bücherjournal
Kompetenz: 4 von 5
Originalität: 4 von 5
Unterhaltungswert: 4 von 5
Entdeckerlust: 5 von 5
4 Fröhlich lesen
«Autoren zu Gast bei Susanne Fröhlich» heisst diese Sendung im Untertitel und bringt damit das Konzept auf den Punkt. Die Frankfurter Autorin ist Journalistin beim Hessischen Rundfunk. Ihr Gastspiel beim MDR in Leipzig moderiert sie mit spürbarer Leidenschaft. Fröhlichs Dreierrunde mit zwei Gästen klingt zuweilen nach heiterem Kaffeekränzchen, dann nach ernsthafter Diskussion. Sie fragt ihren Gästen auch mal Löcher in den Bauch, was unterhaltsam ist und abgedroschene Phrasen verhindert. Die Autoren haben zwar ihre aktuellen Bücher dabei, anhand derer man aber einiges zu den Menschen erfährt, die sie geschrieben haben. Fröhlich hält nicht mit Kommentaren zurück und richtet sich mit Klartext an das Publikum: «Lesen zwingt zum Nachdenken, was den meisten doch nur gut tun kann.» (fn)
Monatlich, 45 Minuten
Nächste Sendung: Do, 14.11., 23.35 MDR
www.mdr.de/froehlich-lesen/index.html
(Wegen Geo-Blocking kein Nachschauen möglich)
Kompetenz: 4 von 5
Originalität: 2 von 5
Unterhaltungswert: 4 von 5
Entdeckerlust: 4 von 5
5 lesArt
Der spätabendliche «KulturMontag» auf ORF 2 bietet nebst Meldungen, Interviews und Reportagen eine eigene Büchersendung. Alle zwei Monate lädt seit 2011 Christian Ankowitsch zu «lesArt». Aus einem Kleintheater mit aktuellem Bezug – im Sommer in Klagenfurt, im Oktober in Frankfurt – meldet sich der Journalist und Autor mit zwei schreibenden Gästen und ihren aktuellen Büchern. Gerne setzt er neben eine bekannte Persönlichkeit einen Newcomer: Im Oktober sind es der ukrainische Autor Andrej Kurkow und die junge Österreicherin Raphaela Edelbauer. Ankowitsch ist bestens vorbereitet, führt die Gespräche aber in spröder Zurückhaltung. Eine Art Diskussion kommt nur dann zustande, wenn er seinen Gästen Stichworte zuwirft. Eingespielt werden kurze Porträts sowie ein bis zwei sonstige Buchtipps. (fn)
Sechsmal jährlich, 30 Minuten
Nächste Sendung: Mo, 14.10., 23.25 ORF 2
https://tv.orf.at/groups/kultur/mgr/240788
Kompetenz: 4 von 5
Originalität: 2 von 5
Unterhaltungswert: 3 von 5
Entdeckerlust: 2 von 5
6 Gottschalk liest?
Das Fragezeichen im Sendetitel zeigt an, dass man es von Thomas Gottschalk nicht erwarten würde, Gastgeber einer Literatursendung zu sein. Seit März 2019 macht er es trotzdem. Immerhin hat er einmal drei Semester lang Germanistik studiert. Und nicht zu vergessen: Er ist selber Autor, wenn auch «nur» von Autobiografien: «Herbstblond» (2015) und «Herbstbunt» (2019). Gottschalk (69) will in seiner Talksendung die «Aussöhnung von Literatur und Unterhaltung» verwirklichen. Er bleibt auch hier, was er im Radio und in der grossen Samstagabendkiste «Wetten, dass...» war: eine Plaudertasche vor dem Herrn. In der trauten Runde seiner Sendung lädt er jeweils drei Autorinnen und Autoren ein, mit denen er aus der Warte des Dumme-Fragen-Stellers über deren jüngste Bücher spricht. (hau)
Viermal jährlich, 45 Minuten
Nächste Sendung: Di, 15.10., 22.00 BR
www.br.de } gottschalk liest
Kompetenz: 2 von 5
Originalität: 2 von 5
Unterhaltungswert: 3 von 5
Entdeckerlust: 2 von 5