Strikte Regeln und ein patriarchales System bestimmen den Alltag von Tabea Steiners Protagonistin Natali, die mit ihrem Mann und den zwei Kindern in einer Freikirche aktiv ist. Sex vor der Ehe ist verpönt, der Mann gilt als Oberhaupt der Familie, und der Leiter in der Sonntagsschule bereitet Natalis Töchtern Suli und Abi mit seiner Beschreibung eines strafenden Gottes schlaflose Nächte.
Andererseits bietet die Gemeinschaft der Freikirche auch Sicherheit: Die Mitglieder helfen und unterstützen einander – sofern sich alle an die klaren Vorschriften halten und nicht ausscheren.
Auf der Suche nach einem Ausweg
Doch Natali fühlt sich in diesen engen Strukturen zunehmend in ihrer Freiheit eingeschränkt. Aufgerieben zwischen ihren verschiedenen Rollen als Mutter, Lehrerin, Bildhauerin und Gemeindemitglied, müde geworden von den Erwartungen ihres Mannes Manuel und der Freikirche, sucht sie einen Ausweg aus ihrem festgefahrenen Leben.
In der Gemeinschaft gilt sie als die «Eigenwillige», weil sie sich nie so ganz unterordnen mochte. Natalis innere Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit verstärkt sich zunächst, als sie die Theologin Kristin kennenlernt und sich zwischen den beiden Frauen eine Liebesgeschichte anbahnt – in der Welt der Freikirchler eine unmögliche Vorstellung. Doch durch Kristin kommt auch einiges in Gang: Natali wagt einen Ausbruch, auch wenn Manuel komplett überfordert mit der Situation ist und ihr die Kinder wegnehmen will.
Die 42-jährige Thurgauer Schriftstellerin und Literaturveranstalterin Tabea Steiner ist selbst im Umfeld einer konservativen Freikirche aufgewachsen und kennt die Strukturen von innen. Mit ihrem Roman «Immer zwei und zwei» gelingt es ihr, das starre Gefüge einer solchen Gemeinde auszuloten, ohne dabei anzuklagen. Sie erzählt nüchtern und lässt gekonnt Leerräume offen, die erahnen lassen. wie sich das Leben in einer streng religiösen Gemeinschaft anfühlt.
Vieles spielt sich zwischen den Zeilen ab, etwa wenn Natalis Kirchenfreundin Rosalie ihr erzählt, wie ihr letztes Date mit einem Mann abgelaufen ist: «Er hat sich keinen Moment Zeit genommen, um nachzudenken, sondern sofort alles eingepackt, sogar die Pralinen, die er mitgebracht hat. Er wolle keinen angebissenen Apfel.»
Streit mit den Eltern
Auch Natali selbst hatte sich einst mit ihren Eltern überworfen, weil sie nicht jungfräulich in die Ehe mit Manuel gegangen ist. Seither hat sie keinen Kontakt mehr zu ihnen. Diese Bruchstücke aus Gegenwart und Vergangenheit, die Tabea Steiner in ihren Roman einstreut, fügen sich nach und nach zu einem Gesamtbild zusammen.
Es zeigt, dass diese Gemeinschaft den Menschen wenig Raum für Individualität lässt und regelwidriges Verhalten mit Ächtung und Ausschluss bestraft wird. Die Autorin erzählt diese Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven, legt den Fokus aber auf Natalis Sichtweise und ihren Weg in die Freiheit.
Ein überzeugender Zweitling Nach dem Debüt «Balg» über eine dysfunktionale Familie, das für den Schweizer Buchpreis nominiert war, kann Tabea Steiner auch mit ihrem zweiten Roman überzeugen. An den Solothurner Literaturtagen ist sie in mehreren Lesungen und Gesprächen zu hören.
Solothurner Literaturtage
Fr, 19.5.–So, 21.5.
www.literatur.ch
Buch
Tabea Steiner - Immer zwei und zwei 208 Seiten
(edition bücherlese 2023)
Radio
SRF sendet an den Solothurner Literaturtagen live vor Publikum aus der «Cantina del Vino».
Fr, 19.5.
09.00, SRF 2 Kultur: Kulturtalk mit Mina Hava
10.00, SRF 1: Treffpunkt – Literatur schreiben, wie geht das? Mit Julia Toggenburger und Sarah Elena Müller
13.00, SRF 1: Tagesgespräch mit Alhierd Bacharevic
14.00, SRF 1: Dini Mundart – Schnabelweid mit Berta Thurnherr und Anna Frey
17.00, SRF 2 Kultur: Passage – Lyrik trifft auf Klangwelten, mit Andreas Neeser und Viviane Chassot (Akkordeon)
So, 21.5.
10.00, Radio SRF 2 Kultur: Literaturclub – Zwei mit Buch, mit Tabea Steiner
11.00, Radio SRF 2 Kultur: Literaturfenster mit Christian Haller u. a.
12.30, Radio SRF 2 Kultur: Musik für einen Gast, mit Ralph Tharayil
14.00, SRF 1: Buchzeichen – Die Lesebiografie, mit Martina Clavadetscher und Hannes Binder
Drei Tipps für die Solothurner Literaturtage
Gespräch am Freitag
Hier treffen zwei junge Autoren aufeinander, die sich auf packende Art mit dem Thema Migration und Menschen am Rand der Gesellschaft befassen: Der iranisch-deutsche Schriftsteller Behzad Karim Khani erzählt in «Hund, Wolf, Schakal» vom Brennpunkt BerlinNeukölln, während der ivorisch-französische Autor Gauz nach Paris zoomt.
Fr, 19.5., 20.00 Säulenhalle
Fussballlesungen am Samstag
Diese Kurzlesungen sprühen vor Sprachlust: Nachdem sich die Schriftsteller-Nati am Nachmittag zum Match getroffen hat, liefert sie sich am Abend Wortgefechte. Mit von der Partie: Wolfgang Bortlik, Bänz Friedli, Sybil Schreiber, Patrick Tschan und viele mehr.
Sa, 20.5., 20.00 Säulenhalle
Graphic Novel am Sonntag
Anja Wickis Graphic Novel «In Ordnung» erzählt auf zarte Weise von einer psychischen Erkrankung. Die Illustratorin und Comiczeichnerin ist im Gespräch mit Publizist Hans ten Doornkaat zu hören.
So, 21.5., 12.00 Kino im Uferbau