Die junge Caitlin geht nach der Schule täglich ins öffentliche Grossaquarium und wartet, bis sie ihre Mutter nach der Arbeit abholt. Selbst wenn diese Schule in einem Vorort von Seattle nicht die beste ist, fühlt sich das Leben schön an: dank der indischen Schulfreundin, dem neuen, kochbegeisterten Liebhaber der Mutter sowie der Bekanntschaft eines älteren Mannes, der sich so gut mit Kugel- und Clownfischen auskennt. Als das Mädchen darauf drängt, seine Bekanntschaften zusammenzuführen, stösst es eine Tür zu tief verborgenen Geheimnissen auf. Das ist die Ausgangslage im Roman «Aquarium» des 50-jährigen Autors David Vann. Er machte sich vor allem als Verfasser von Erzählungen einen Namen. 

Derweil die stummen bunten Fische hinter dem Glas ihre Kreise ziehen, spielen sich in der realen Welt drastische Szenen ab, denen die Zwölfjährige durch Abtauchen in die Unterwasserwelt entflieht. Die dortige Ruhe, Dunkelheit und Stimmung stehen als Metaphern für die Besinnung ihres Umfelds. 

Die Aquarium-Schilderungen verkörpern einen Gegenpol zu den Wutausbrüchen der Mutter, die damit ihre Hoffnungslosigkeit angesichts der geraubten Jugend, des Existenzkampfs als Alleinerziehende sowie des unbefriedigenden Jobs als Akkordarbeiterin aufzeigt. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach dem Wert von Beziehungen. 

Im Gegensatz zu den früheren, düsteren Büchern Vanns nimmt diese Geschichte eine unerwartet positive Wendung. Sie zeigt, dass Vergebung und ein Neuanfang in einer Familie unter schwierigsten Vorzeichen möglich sind – wenn jemand die Verantwortung für sein Handeln übernimmt. 

David Vann
«Aquarium» 
282 Seiten 
(Suhrkamp 2016).