Grösser könnten die Unterschiede nicht sein: Die 33-jährige Karla lebt immer noch in ihrem Heimatdorf im bayerischen Unterfranken, führt als Lokaljournalistin ein beschauliches Leben. Ihre jüngere Schwester Marie hingegen ist die Abenteuerlustige: Die erfolgreiche Fotografin hat einen US-Amerikaner geheiratet, ist nach Boston und nach der Scheidung nach New York gezogen. Trotz unterschiedlicher Temperamente sind die beiden Schwestern eng verbunden.

Anika Landsteiners Roman «So wie du mich kennst» setzt allerdings am Tiefpunkt ein. Marie ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Zurück bleiben die trauernde Karla, die Eltern und Freunde. Feinfühlig erzählt die 34-jäh­rige Münchner Autorin vom Umgang mit der Trauer, aber auch von häuslicher Gewalt. Denn Karla entdeckt bei der Wohnungsauf­lösung in New York eine unbekannte, verstörende Seite von Marie. Ihre Schwester, die so stark wirkte und von der sie geglaubt hatte, alles zu wissen, hatte ihr einiges verschwiegen …

Im Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Karlas und Maries Perspektive gelingt es Anika Landsteiner, Spannung aufzubauen. Ihr Schwesternporträt gibt Einblick in den Alltag zweier junger Frauen, ist aber auch eine packende Spurensuche nach den verborgenen Facetten eines Menschen. Und nicht zuletzt ist es ein Plädoyer für den Mut, hinzuschauen und Hilfe anzubieten, wenn Anzeichen für Gewalt oder Missbrauch bestehen – und das Schweigen zu brechen. Gesellschaftliche Tabus spricht Land­steiner auch in ihren Podcasts «Über Frauen» und «Bleibt unter uns» an. In ihren berührenden Roman hat sie diese Themen nun eingeflochten und erzählt von Trauer, Wut und Lebensmut.

Anika Landsteiner 
So wie du mich kennst
352 Seiten
(Fischer/Krüger 2021)
Podcasts: http://www.anikalandsteiner.de