Zwischendurch ploppt es plötzlich auf, das Glück. Und bleibt für einen Nachmittag oder die wenigen Sekunden ­eines unverhofften Lächelns. Sonst aber arbeiten sich Nene und Boris heftig ab an ihrer Liebe, die sie unerwartet gepackt hat an einem Dienstagnachmittag. Denn die beiden Jungzwanziger tun sich schwer mit ihrem Dasein, das geprägt ist von Ängsten, Verletzungen, Traumata.

Es ist eine schwierige Ausgangslage, die Annika Büsing für ihren Romanerstling gewählt hat. Das soziale Umfeld ihrer Protagonisten hat sie wohl selbst erlebt. Die Autorin stammt aus dem Ruhrgebiet, wo auch die namenlose Stadt anzusiedeln ist, in der Bademeisterin Nene und ihr arbeitsloser Lover leben. In der Nordstadt, wohlgemerkt, wo die Leute bei Karstadt arbeiten oder eben arbeitslos sind. Nene kennt auch die noble Südstadt, wo ihre Halbschwester Alma lebt. Ob sie dereinst dorthin will, weiss sie nicht. Sie ist viel zu beschäftigt damit, die Gespenster ihrer Jugend zu verscheuchen: ihren prügelnden Vater etwa oder Lasse, der sie auf dem Spielplatz vergewaltigt hat.

Auch Boris kämpft mit seinem Schicksal, einer Kinderlähmung, die ihn zum sozialen «Krüppel» machte. In ihrer Schwimmhalle will Nene ihm ein Trainingsprogramm zusammenstellen, um seinen Körper zu stärken. Doch Boris will nicht, dann wieder doch; er windet sich in den Herausforderungen des Lebens, die auch seine Liebe zu Nene torpedieren. Annika Büsing erzählt aus Nenes Sicht und in deren rasanter Sprache, die zwischen knallharter Lakonik und ironischer Wärme pendelt. Ein kurzer Roman, der zwar Lesearbeit erfordert, aber belohnt mit einem faszinierend atemlosen Trip durch zwei Leben am Start.

Buch
Annika Büsing 
Nordstadt
128 Seiten
(Steidl 2022)