kulturtipp: Sie sind seit 2001 der Typ, bei dessen Name die Leute an das Projekt «Break Down» denken, als Sie Ihren gesamten Besitz zerstörten, inklusive Ihrer Kunstwerke.
Michael Landy: Ja, das dämmerte mir in jener Zeit, als wir all meinen Besitz in der Oxford Street in London zerstörten. Damit muss ich leben. Nur öffentlicher Selbstmord wäre wahrscheinlich noch spektakulärer.
Exakt an Suizid denkt man bei dieser Aktion.
So habe ich das erlebt. Ich glaubte, meinem eigenen Begräbnis zuzuschauen. Meine Freunde waren dabei, und ich hatte den Eindruck, sie stünden an meinem Grab. Ich erlebte damals schlechte Zeiten, ich fühlte mich paranoid. Zumal es mir nicht etwa an nichts fehlte. Ich hatte grosse Schulden. Darum rate ich jedem, der ähnliche Pläne hegt, sich die Sache gut zu überlegen.
Die Reaktion der Leute?
Alle waren sehr nett und wollten mir helfen. Monate später kam ich auf die Idee, die Menschen aufzufordern, mir Geschichten zu schicken, wie freundlich man in der Londoner U-Bahn miteinander umgeht. Da wurden die verrücktesten Erlebnisse erzählt.
Gilt man nur als Mensch, wenn man Besitztümer hat?
Ja, das war mein Thema. Wie komme ich mit 37 Jahren ohne Eigentum zurecht, welche Folgen hat das für mich? Ich führte jedes einzelne Objekt in einem genauen Inventar auf, um das zu verstehen.
Mir scheint diese Form der Zerstörung sehr europäisch, in der Sahelzone käme niemand auf diese Idee.
Meine Eltern zogen von Irland nach England, weil sie hier auf ein besseres Leben hofften. Für sie war es unverständlich, alles Eigentum zu zerstören. Meine Mutter weinte. Menschen in Entwicklungsländern können zwar alles durch Kriege und Naturkatastrophen verlieren. Aber sie entscheiden sich bestimmt nicht bewusst, ihr Hab und Gut loszuwerden.
Und der tiefere Sinn hinter Ihrer Aktion?
Die Leute sollten zusehen, wie meine Besitztümer verschwinden. Zudem wollte ich erleben, was Leute fühlen, wenn sie etwa bei einem Hausbrand alles verlieren und im letzten Augenblick zurückrennen. Meist holen sie Fotos verstorbener Angehöriger raus, emotionale Dinge, und nicht etwa den Fernsehapparat. Mich interessiert immer die Frage nach dem Wert von Dingen, nach dem immateriellen und materiellen.
Jetzt haben Sie sich mit der Zerstörungsidee versöhnt und machen fröhlich weiter wie früher.
Nicht ganz, aber das Konzept ist fest in mir. Ich vergleiche mich mit einem Kind, das aus Neugier jedes Spielzeug in Einzelteile zerlegt. So habe ich die Konsumgesellschaft lange verstanden. Man begreift sie nur, wenn man sie
ad absurdum führt. Im Übrigen mache ich ja nicht nur Dinge kaputt. Kürzlich sagte mir jemand fast vorwurfsvoll, ich besässe sehr viel für einen, der alles zerstörte.
Wie können Sie nun Kunst zeigen, wenn Sie alles entsorgten?
Guter Punkt, aber ich habe ja seither vieles gemacht. Allerdings musste ich für die Basler Ausstellung einiges rekonstruieren. Wir konnten ja nicht nur Weihwasser zerstäuben, um eine Wiedergeburt meiner Kunst zu erleben. Andere Werke stammen aus Privatbesitz.
In der Londoner National Gallery malträtierten Sie Heiligenstatuen, muss man sich das mit Ihrem irisch-katholischen Hintergrund erklären?
Ja, natürlich, die lieben die Heiligen. Meine Grossmutter hatte eine ganze Kollektion davon, für alles und jedes einen. In Mexiko erfinden sie sogar Heilige für Drogendealer, was ich ziemlich komisch finde. Als ich in der National Gallery arbeitete, haben mich die Heiligen gleich fasziniert.
Und deshalb schlugen Sie die Köpfe von Heiligen-Kopien ab.
Diese Heiligen sind ja sehr destruktiv – ohne Gliedmassen, blind oder sonst wie behindert. Am meisten fühle ich mich dem Heiligen Franziskus verwandt, der alle seine Kleider der Kirche schenkte, bis er nackt war, weil er die Armen beneidete.
Das wäre eine tolle Idee für Sie.
Genau, aber ich will ihn nicht kopieren.
Leiden Sie unter einem Heiligenkomplex aus der Kindheit?
Nein, nein, ich finde diese Figuren nur interessant. Immerhin tauften mich meine Eltern nach einem Heiligen.
Wie stiessen Sie eigentlich auf Jean Tinguely?
Ich sah im Jahr 1982 als Kunststudent eine Ausstellung von ihm. Das erlebte ich als eine Erleuchtung, weil ich begriff, wie man jeden Grümpel zu Kunst machen kann. Zum ersten Mal sah ich, wie Leute in einer Ausstellung lachten. Ich kaufte einen Katalog, ein Poster und eine Reproduktion von ihm, die ich allerdings in «Break Down» entsorgte.
Fühlen Sie sich Tinguely politisch nahe?
Ja, aber wir erlebten unterschiedliche Zeiten, ich kam aus der Schule, als Margaret Thatcher Premierministerin wurde, und erlebte den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Das hatte Tinguely nicht gekannt. Ich dagegen war arbeitslos, musste putzen und so fort. All das machte mich zu dem Künstler, der ich heute bin. Zu Tinguelys Zeit schien alles viel besser, man sieht ihn immer mit einer Zigarette und einem Glas Wein in den Händen. Er hatte in den 1960er-Jahren utopische Vorstellungen von einer besseren Gesellschaft, was heute fehlt.
Interview: Rolf Hürzeler
Out Of Order
Bis So, 25.9. Museum Tinguely Basel